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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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296 Am 5. Februar 1928 kommt Josephine Baker am Wiener Westbahnhof an. Sie reist im eigenen Luxus- waggon. Doch sie bleibt nicht lange in der Stadt, bald fährt sie weiter Richtung Semmering.1 Dort will sie ein paar Urlaubstage verbringen. Anschließend soll sie in Wien auf der Bühne stehen – vereinbart ist eine Revue im Varietétheater Ronacher. Wien ist die erste Station einer zweijährigen Europa- und Südamerika- tournee, die sie in fünfzehn Städte führen wird. Von Wien über Berlin, Budapest, Bukarest, dann nach Skandinavien und schließlich nach Santiago de Chile. Als sie in Wien aus dem Zug steigt, ist sie in Wirk- lichkeit schon längst angekommen: Die Bilder ihrer legendären Nacktauftritte sind allseits bekannt. Im April 1927 bringt die Zeitschrift Die Bühne ein ko- loriertes Foto von Josephine Baker auf der Titelseite (Abb.  1).2 Die Aufnahme stammt von der bekannten Wiener Atelierfotografin Madame d’Ora, die im sel- ben Jahr ihren geschäftlichen Mittelpunkt von Wien nach Paris verlegt hat. Die schwarze Tänzerin wird mit nacktem Oberkörper gezeigt, sie ist nur mit ei- nem Kopftuch bekleidet, in der Hand hält sie kokett einen Wedel. Die exotischen Masken im Hintergrund geben der Tänzerin den Anstrich des Wilden und Un- zivilisierten. Zugleich verkörpert sie die enthemmte, ungezügelte Sexualität. Wenig später, im August 1927, berichtet die Zeitschrift Mein Film über die Urauffüh- rung des Films „Ein Rutscher nach Paris“ (1926) in Wien. Josephine Baker spielt darin die Hauptrolle.3 Josephine Baker weiß um ihre sexuelle Anzie- hungskraft. Geschickt inszeniert sie sich in wech- selnden Rollen auf der Bühne. Ebenso geschickt aber kultiviert sie ihr Image in fotografischen Bildern. 1927 lichtet Madame d’Ora die Tänzerin zum ersten Mal in Paris ab. In den folgenden Jahren porträtiert die österreichische Fotografin den Star im Auftrag von illustrierten Zeitungen und Journalen unzählige Male. D’Ora ist eine Meisterin des sinnlichen, eroti- schen Frauenporträts. In Josephine Baker findet sie ein wandlungsfähiges fotogenes Gegenüber, das ihre Rolle vor der Kamera perfekt spielt. Sie tritt in immer neuen Bildern auf, einmal elegant entweder als Frau oder als Mann gekleidet, dann wieder clownesk und schließlich in der Rolle, in der man sie stets erwartet: halb oder fast ganz nackt, vertieft in einen orgias- tischen Tanz. Mit Leichtigkeit wechselt sie Gewand, Ausstrahlung, Image. Madame d’Ora begleitet sie auf diesem Parcours der Verwandlungen. Die Fotografin ist eine Art Spiegel, der die Theatralik der Baker auf- nimmt und in ein haltbares öffentliches Bild über- trägt. D’Ora lichtet nicht nur Josephine Baker, son- dern zahlreiche andere Bühnenstars ab. Nicht selten lüftet sie dezent das Gewand der Porträtierten. Fast nie aber lassen ihre Protagonisten die Hüllen gänz- lich fallen. Die Fotografin modelliert Sinnlichkeit, An- ziehung und Erotik mithilfe raffinierter Lichtführung. Ihre Strategie liegt nicht in der brutalen Entblößung, sondern in der erotischen Andeutung. Immer wieder balanciert sie in ihren Bildern gekonnt zwischen se- xueller Verfügbarkeit und subtilem Entzug (Abb.  2). Josephine  Baker  in  Wien Im Februar 1928 berichten die Zeitungen ausführ- lich über die „Pariser Sensation“. Jedes Detail der Reise von Josephine Baker wird in der Öffentlichkeit verhandelt. Die Journalisten wissen sogar darüber Bescheid, was der anrüchige Star auf Reisen mit sich führt: 15 große Schiffskoffer, darin verpackt 137 Klei- der und Kostüme, 196 Paar Schuhe, 64 Kilo Schmink- puder und natürlich – das legendäre Bananenröck- chen.4 Die Baker versetzt Wien in helle Aufregung. Die konservativen Blätter wettern gegen ihren geplan- ten Auftritt, liberale Stimmen verteidigen ihn vehe- ment. Die erregte Debatte zieht sich über Wochen hin.5 Ende Februar erreicht sie sogar den Nationalrat. Christlichsoziale Redner fordern ein Auftrittsverbot. Und tatsächlich: Zur Revue im Ronacher wird es nicht Wenn die Hüllen fallen · Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit22
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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