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2.2 Die antoninische Pest
Die Beurteilung der Regierungszeit Marc Aurels als
Zeit der Krise des Römischen Reiches ist einer-
seits durch die überlieferten militärischen Bedro-
hungen durch Parther sowie Markomannen und
andere Germanenstämme zu begründen, hängt
andererseits aber vor allem mit der sog. antonini-
schen Pest, auf die die Schriftquellen mehrmals
Bezug nehmen71, zusammen. Die Interpretation der
Quellenlage ist diesbezüglich z. T. indifferent. Ent-
völkerung und Hungersnöte werden entweder mit
Verlusten an Menschenleben durch Tod oder Ver-
schleppung im Zuge der Markomannenkriege oder
mit der höheren Sterblichkeit als Folge der Seuche
in ursächlichen Zusammenhang gebracht. Beide
Krisenszenarien sind nicht separat voneinander zu
betrachten. Demografische und ökonomische Aus-
wirkungen der antoninischen Pest sind insofern mit
den Markomannenkriegen zu verknüpfen, als die
Epidemie Versorgungsengpässe und Truppenver-
luste bedingte, die nicht ohne negative Folgen für
die Kriegsführung geblieben sein dürften: »Both
diffusion and impact were almost certainly increa-
sed by the plague’s onset at a time of heavy army
mobilisation.«72
Nach den Schriftquellen schleppten aus den Par-
therkriegen zurückkehrende Truppen die antonini-
sche Pest in Italien ein (SHA Verus 8, 1, 1 – 2). Im
Jahr 166 n. Chr. dürfte die Seuche Rom erreicht
haben und verbreitete sich in weiterer Folge auch
in Italien und den Westprovinzen73. Bei der in
den Schriftquellen als lues, pestilencia oder pes-
tis bezeichneten Epidemie dürfte es sich um die
Pocken handeln74.
Auf den Forschungsstand zur Evidenz der antonini-
schen Pest in Noricum wurde zuletzt von G. Piccot-
tini im Rahmen der epigrafischen Beurteilung eines
Verzeichnisses von Mitgliedern einer Virunenser
Mithraskultgemeinschaft eingegangen. Die Inschrift
belegt eine Trauerfeier für fünf an den Folgen der
Epidemie verstorbene Kultgenossen am 26. Juni
184 n. Chr.: et mortalitat(is) causa convener(unt)
/ Marullo et Aeliano co(n)s(ulibus) VI K(alendas)
Iulias75. Eine Grabinschrift (CIL III 5567) aus dem
Stadtterritorium von Iuvavum-Salzburg belegt für
das Jahr 182 n. Chr. mehrere Todesfälle innerhalb
71 Eine Übersicht bietet: Duncan-Jones 1996, 118 – 120; vgl. Gil-
liam 1961, 225 – 251; Gilliam 1979, 144 – 175.
72 Duncan-Jones 1996, 136.
73 Breitwieser 1995, 151 (≈ bis 165 n. Chr.: Partherreich, Nisibis;
165 n. Chr.: Smyrna; 166 n. Chr.: Rom); Duncan-Jones 1996,
116. 119 f.; Buora 2002, 93 – 97 (Aquileia); Kovács 2009,
212 f. (167 n. Chr.: Rom; 168 n. Chr.: Aquileia).
74 DNP III (1997) 1102 – 1104 s. v. Epidemische Krankheiten (V.
Nutton); Kovács 2009, 212.
75 Piccottini 1994, 22 – 25; Breitwieser 1995, 150. einer Familie an den Folgen der Pest76: qui per
luem vita functi sunt (»die durch die Seuche ihr
Leben beendeten«).
Die beiden punktuellen epigrafischen Zeugnisse
aus dem Süden und Nordwesten der Provinz deu-
ten darauf hin, dass für Noricum sowohl zumindest
für den Teil der Provinz nördlich als auch jenen
südlich der Alpen mit Verlusten an Menschenleben
durch die Seuche zu rechnen ist. Für das Stadtterri-
torium von Flavia Solva-Wagna liegen bislang keine
entsprechend konkreten Belege für die Folgen der
antoninischen Pest vor. Die Ausgangsbasis, allfäl-
lige Auswirkungen der Epidemie im südostnorischen
Munizipium einzuschätzen, kann deshalb nur als
unbefriedigend beschrieben werden. Auch aus dem
nichtschriftlichen archäologischen Quellenbestand
liegen keine Befunde vor, die plausibel mit Auswir-
kungen der antoninischen Pest in Zusammenhang
zu bringen wären. In keinem der Gräberfelder von
Flavia Solva konnten bislang Konzentrationen von
Bestattungen des ausgehenden 2. Jahr hunderts n.
Chr. oder Befunde, die als Massengräber77 oder
achtlose Bestattungen etc. zu deuten wären, nach-
gewiesen werden. Wenn wir auch mangels vorlie-
gender direkter epigrafischer Belege keine Aussage
über konkrete Folgen der Epidemie in Flavia Solva-
Wagna treffen können, so dürfen wir vielleicht doch
zumindest von einer gewissen allgemeinen Verunsi-
cherung der Bevölkerung ausgehen und in Analogie
zu der für Virunum-Zollfeld vorliegenden inschriftli-
chen Quelle mit Todesfällen rechnen. In Anlehnung
an die Überlegungen von G. Piccottini, wonach in
Virunum-Zollfeld von 35 Kultgenossen 5 verstarben,
was einer Mortalitätsrate von 15 % entsprechen
würde78, dürfen wir für Flavia Solva-Wagna viel-
leicht ähnliche Zahlen in Betracht ziehen. Inwiefern
sich diese Annahmen in Verbindung mit einer ange-
führten »allgemeinen Verunsicherung« ausgewirkt
haben mögen, eröffnet ein weites Feld historischer
Spekulation. Neben einer Schwächung von Infra-
struktur und Wirtschaft und der Flucht wohlhaben-
derer Bevölkerungsschichten vor einer Ansteckung,
deren Gefahr wohl besonders in den Städten gege-
ben war, wären in direktem Zusammenhang mit die-
sen Ereignissen innere Unruhen, von nicht näher
bestimmbaren Ausmaßen, als mögliches Szenario
vorstellbar. In diesem Zusammenhang wäre auch
zu berücksichtigen, dass immer wieder bezüglich
Auswirkungen der Markomannenkriege bemühte
Kollateralschäden auch – ausschließlich oder in
76 Breitwieser 1995, 152; Schmidt 2004, 135 – 140.
77 Ein ›Konvolut‹ an Menschenknochen, das von vier Körper-
bestattungen in einem gemauerten Grabbau stammt, wurde
als Überrest eines mehrmals belegten spätantiken Familien-
grabes interpretiert: Kloiber 1979 – 1981, 137. 144; Modrijan
1979 – 1981, 135.
78 Piccottini 1994, 24.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321