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16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen
versus kritischer Prüfung
Wie im Kapitel 4 »Forschungsmeinungen« gezeigt
werden konnte, besteht seitens der Forschung die
Tendenz, bei der historischen Deutung von Zerstö-
rungsbefunden, regionale und überregionale ver-
gleichbare und einschlägig interpretierte Befunde
einzubeziehen. Diese in der archäologischen For-
schung herkömmliche Vorgehensweise mittels Ana-
logieschluss birgt jedoch im vorliegenden Fall der
Deutung von Befunden als mögliche Spuren der
Markomannenkriege im Südostalpenraum die Prob-
lematik, dass vielfach ältere Forschungsmeinungen
unkritisch integriert wurden. Schließlich führt genau
dieses Prozedere zu einer stets wachsenden Dichte
an Zerstörungsbefunden, die (vermeintlich) mit den
Markomannenkriegen in Zusammenhang gebracht
werden. Ergebnis dieser methodisch unsauberen
Verkettung von Interpretationen sind vorgezeich-
nete Deutungsmuster, die letztendlich ein falsches
Bild liefern. Die (tatsächlich nicht gegebene) Dichte
von Zerstörungsbefunden, die mit den Markoman-
nenkriegen zu verknüpfen seien, wird in Überblicks-
arbeiten zum Thema zur Grundlage eines (tatsäch-
lich von archäologischer Seite nicht gesicherten)
historischen Faktums weitreichender Zerstörungen
zur Zeit der Markomannenkriege im Ostalpenraum
gemacht. Wir sollten deshalb in diesem Dilemma
weniger die Anzahl der (meistens ohnehin nicht
oder nur vermeintlich) bewährten Fälle als Argu-
ment heranziehen, sondern vielmehr die »Strenge
der Prüfung« zum Kriterium erheben1131. Wie im
Kapitel 15 »Brandzerstörungen aus der Zeit der
Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und
Rätien« gezeigt wird, lassen sich für das Einzugs-
gebiet der Bernsteinstraße im Ostalpenraum zwar
zahlreiche Zerstörungsbefunde der zweiten Hälfte
des 2. Jahr hunderts n. Chr. anführen, von diesen ist
jedoch bislang kein einziger zwingend mit kriegeri-
schen Auseinandersetzungen der Markomannen-
kriege zu verknüpfen und/oder die entsprechende
historische Deutung kann der geforderten ›strengen
Überprüfung‹ nicht standhalten. Lediglich für Aqui-
leia dürfen wir nach den Schriftquellen von einer
Belagerung ausgehen (vgl. Kap. 2). Der archäologi-
sche Nachweis dieser schriftlich überlieferten Bela-
gerung, etwa mit der Aufdeckung von Anlagen wie
sie für Dura Europos vorliegen1132, konnte bislang
jedoch nicht erbracht werden.
1131 Vgl. Popper 2005, 254.
1132 James 2005, 189 – 206; James 2010, 30 – 39. 16.11 Fragenkatalog und Synthese
Die zentralen Themen, um die sich die vorliegende
Diskussion bewegt, dürfen schließlich zu einem Fra-
genkatalog zusammengefasst werden, auf den es
im Rahmen einer methodisch sauberen Diskussion
über die Rekonstruktion historischer Zusammen-
hänge, d. h. im vorliegenden Fallbeispiel konkret
die Verbindung der schriftlich überlieferten kriegeri-
schen Auseinandersetzungen mit archäologischen
Befunden von großflächigen Zerstörungsnach-
weisen, einzugehen gilt. Voraussetzung ist einer-
seits die Quellenbewertung und -kritik, sowohl der
Schriftquellen als auch der nichtschriftlichen Zeug-
nisse (archäologische Befunde), und andererseits
eine Vorgehensweise, die sowohl Pro als auch Kon-
tra berücksichtigt. Als zeitliche Prämisse gilt, dass
die absolutchronologische Einordnung des Befun-
des ausreichend exakt sein muss, um eine grund-
sätzliche Verbindung mit historischen Ereignissen
zu erlauben.
Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Entschei-
dungsfindung im Zusammenhang mit der histori-
schen Beurteilung oder Interpretation eines Befun-
des stark von der Aussagekraft des Befundes
hinsichtlich der jeweils spezifischen Fragestellung
abhängig ist. Der vorliegende Kriterienkatalog kann
deshalb auch in Zusammenhang mit der vorliegen-
den Fallstudie kein Instrument sein, das zur Ermitt-
lung eines einzigen konkreten Ergebnisses dient.
Vielmehr handelt es sich um ein Werkzeug, das es
erlaubt, mögliche Optionen einer historischen Inter-
pretation zu erwägen und diese einzuschätzen.
Kriterien:
▪ Mit welchen natürlichen oder anthropogenen
Ursachen des zu deutenden Ereignisses ist
grundsätzlich zu rechnen?
▪ Erlaubt die annähernde Vollständigkeit des
Fundmaterials den Schluss, dass das Ereignis
plötzlich und unvorhergesehen eingetreten ist?
▪ Sind Militaria im Fundmaterial vorhanden und
wie setzen sich diese zusammen (Angriffs-,
Schutzwaffen etc.)? Welche alternativen Erklä-
rungen zum gehäuften Auftreten von Militaria
können angeboten werden (z. B. Wiederverwer-
tung von Altmetall)? Können Militariafunde als
spezifisch römisch angesprochen oder als militä-
rische Ausrüstungsgegenstände von feindlichen
›Fremdvölkern‹ identifiziert werden?
▪ Sind im Fundmaterial menschliche Überreste
vorhanden und weisen diese Verletzungen auf,
die als Spuren von Kampfhandlungen zu deuten
sind?
▪ Liegt für den dokumentierten Bereich eine Sied-
lungskontinuität vor? Orientiert sich diese an
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321