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Produktionsprozesses Öfen beheizen mussten,
durch die Verwendung von Holzabfällen als Heiz-
material ein Aspekt sein, den es zu berücksichtigen
gilt. Indizien für die Bearbeitung von Holz liegen
für Insula XLI mit den Fragmenten der Löffelbohrer
Kat. 445 – 446 aus Haus II vor (vgl. Kap. 11.1.3.3).
Sowohl holz- als auch beinverarbeitende Werk-
stätten dürften Klebemittel benötigt haben. Neben
der möglichen Verwendung von Harz und anderen
Substanzen dürfte primär Leim aus Leimsiedereien
zu diesem Zweck bezogen worden sein. Die Inter-
aktion zwischen Beindrechslereien und Leimsiede-
reien dürfte sich deshalb über die systematische
Verteilung der von den jeweiligen Betrieben genutz-
ten tierischen Rohstoffe hinaus auf den Bezug von
Leim erstreckt haben925.
Vergleichbare Interaktionen zwischen den Werk-
stätten der Insula XLI zur Herstellung von Artefak-
ten, die aus verschiedenen Materialien zusam-
mengesetzt wurden, sind naheliegend, lassen sich
im archäologischen Befund allerdings nicht sicher
belegen.
Die multifunktionale Nutzung von Werkstätten und
Wohnräumen, die für Räumlichkeiten der Insula XLI
von Flavia Solva-Wagna in Betracht gezogen wurde
(vgl. Kap. 10), lässt sich auch für andere provinzi-
alrömische Siedlungen anführen. Eine Kombination
von Gewerberäumen zur Buntmetallverarbeitung
mit Wohnräumen innerhalb eines Häuserblocks ist
beispielsweise für die Insula 30 von Augusta Rau-
rica-Augst nachgewiesen926.
Neben einer möglichen Verbindung zwischen der
Produktion von Beinverarbeitung mit holz- und
buntmetallverarbeitenden Betrieben könnte auch
ein Zusammenhang mit der Aufbereitung tierischer
Nahrung bestehen. Auf die für Raum J von Haus II
auch in Betracht gezogene, mögliche gewerbliche
Nutzung einer Küche wäre in diesem Zusammen-
hang hinzuweisen (vgl. Kap. 10).
Abgesehen von den angeführten möglichen Interak-
tionen lässt sich die Organisation der Werkstätten
der Periode II/II+ der Insula XLI von Flavia Solva-
Wagna kaum näher determinieren. Die Größe der
Räumlichkeiten spricht für kleine (Familien-[?])
Betriebe. Ob wir von weitgehend autonomen Klein-
unternehmern oder eher von abhängigen Pächtern
ausgehen müssen, lässt sich mangels Schriftzeug-
nissen nicht beantworten.
Während für die Beinverarbeitung nach der Menge
der vorliegenden Artefakte und den unterschied-
lichen Bearbeitungsspuren sowie für die Buntme-
tallverarbeitung nach dem vorauszusetzenden Auf-
wand (Patrizen, Matrizen, Brennstoff und Ofen etc.)
von einem gewerblich betriebenen Handwerk aus-
zugehen ist, muss offenbleiben, welches Ausmaß
925 Vgl. Deschler-Erb 2012d, 158 f.
926 Furger 1998, 121. 138. wir für die Textilproduktion während Periode II/II+ in
der Insula XLI von Flavia Solva-Wagna annehmen
dürfen. Es könnte sich sowohl um eine Erzeugung
für den häuslichen Eigenbedarf als auch für den
Verkauf handeln (vgl. Kap. 13.3).
13.1 Bein- und Hornverarbeitung
Nach den Fundkonzentrationen von Beinartefakten
in den Räumen P und Q des Hauses IV darf wohl
von einer beinverarbeitenden Werkstatt in diesem
Bereich der Insula XLI ausgegangen werden (vgl.
Kap. 10; 11.2.1).
13.1.1 Rohstoffe
Die vorliegenden Funde zeigen, dass zur Bearbei-
tung im Rahmen der römerzeitlichen Produktion von
Artefakten auf dem Areal der Insula XLI von Flavia
Solva-Wagna Knochen und vielleicht Horn an Tier-
resten herangezogen wurden. Elfenbein und ande-
res Zahnmaterial sowie Geweih fehlen.
In erster Linie wurden zur Herstellung von Beinar-
tefakten in der Insula XLI Lang- und Röhrenkno-
chen sowie Schulterblätter von Rindern ausgewählt
(Abb. 36). Darauf, dass während der Römerzeit mit
Abstand am häufigsten Knochen von Hausrindern
zur Erzeugung von Beinartefakten herangezogen
wurden, hat zuletzt auch S. Deschler-Erb hinge-
wiesen927. Neben den vorliegenden Halbfabrikaten
und Bruchstücken von Halbfabrikaten ein weiterer
Hinweis dafür, dass es sich um eine zur Beinver-
arbeitung spezialisierte Werkstatt und nicht um ein
›Nebengewerbe‹ im Rahmen der Fleischproduktion
handelt.
Ein Überblick zur römerzeitlichen Beinverarbeitung
in Britannien zeigte, dass Mittelfuß- und Mittelhand-
knochen bevorzugt zur Beinverarbeitung herange-
zogen wurden. Außerdem wurden radii, scapulae
und tibiae verwendet928. Auch für das römische
Augusta Raurica-Augst929 und Köln930 wurde auf
die Auswahl von Mittelfußknochen zur Beindrechs-
lerei hingewiesen. Dieses Phänomen ist nicht auf
die Nordwestprovinzen beschränkt. In Sagalas-
sos (Kleinasien) wurden während der Römerzeit
fast ausschließlich Rinderknochen und von diesen
bevorzugt die Lang- und Röhrenknochen von Vor-
der- und Hinterfuß zur Beinverarbeitung verwen-
det931. Die in Sagalassos festgestellte Auswahl
dürfte direkt mit dem an Produktionsabfall und Halb-
fabrikaten nachweisbaren Produktspektrum (Löffel,
927 Deschler-Erb 2012a, 115.
928 Crummy 2001, 100.
929 Schmid 1968, 185 f.
930 Berke 1989, 883.
931 De Cupere u. a. 1993, 269 f. Tab. 1.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321