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che augenblickliche Ereignisse, die vom Blitzschlag
bis zur Brandschatzung oder Brandstiftung reichen,
angeführt werden können.
16.4 Militaria
Komplizierter wird die Diskussion in Zusammen-
hang mit Schlüssen, die vielleicht aus dem Vor-
kommen oder Fehlen spezifischer Funde zu zie-
hen sind. Letztere Vorgehensweise (ex tacendo)
ist ohnehin problematisch. Grundsätzlich wären in
diesem Zusammenhang verschiedene Faktoren zu
berücksichtigen (vgl. Kap. 5. 7).
Weder spezifisch germanische noch römische
Militaria, die konkretere Hinweise auf Kampf-
handlungen liefern könnten, sind im Fundmaterial
nachzuweisen. Bezüglich des Fehlens römischer
Militaria mag zu Recht eingeräumt werden, dass
diese in einer provinzialrömischen Zivilstadt wie
Flavia Solva-Wagna auch nicht gehäuft zu erwar-
ten wären. Römische Militaria liegen etwa aus
den Zerstörungshorizonten im Holz-Erde-Lager
von Celemantia-Iža oder im Kastell und Vicus
von Regensburg-Kumpfmühl vor (vgl. Kap. 15).
A. Faber geht für Regensburg-Kumpfmühl, wo vor
allem Geschossspitzen in den großflächigen Brand-
schichten nachgewiesen sind, davon aus, dass es
sich bei den Militaria aufgrund ihrer Menge nicht
um Altmetall handelt. Auch E. Deschler-Erb führt
für Zerstörungshorizonte »unfriedlicher Ursache«
die starke Fragmentierung und Kleinteiligkeit von
Militaria und die ungleiche Verteilung zu Gunsten
der Angriffswaffen für den Fernkampf an1080. Eine
Geschossspitze sowie ein Lanzenschuh, die aus
Brandschutt in Aquae Helveticae-Baden vorliegen,
werden mit der Brandschatzung des Vicus durch die
legio XXI Rapax im Jahr 69 n. Chr. in Verbindung
gebracht1081. S. Martin Kilcher betrachtet Milita-
ria aus Schuttschichten als Zeugnisse für »heftige
Kämpfe« in der Oberstadt von Augst während des
ausgehenden 3. Jahr hunderts n. Chr.1082. Militaria
aus einer Brandschicht des beginnenden 2. Jahr-
hunderts n. Chr. in Sarmizegetusa wurden mit
Kampfhandlungen, eventuell dem Beginn des 2.
Dakerkrieges Traians, in Verbindung gebracht1083.
Mit Brandschichten, die weitgehende Zerstörungen
knapp nach der Mitte des 3. Jahr hunderts n. Chr.
für die Villenanlage von Biberist-Spitalhof bele-
gen, verknüpfte Funde von Militaria (Lanzenspitze
und Lanzenschuh, Widerhakenspeer [?]) sowie
1080 Deschler-Erb 2005, 50 Abb. 6.
1081 Schucany 1996, 32. 156 f. Abb. 156; 457. 632; Schucany
1998, 251 f.; Schucany 2005, 60.
1082 Martin-Kilcher 1985, 194. Dazu auch: Deschler-Erb – Desch-
ler-Erb 2001, 23 f.; Schatzmann 2005, 217 – 226.
1083 Găsdac 2009, 125 f. menschlichen Skelettbestandteilen (Halswirbel)
werden mehrheitlich als deutliche Hinweise kriege-
rischer Auseinandersetzungen oder eines Überfalls
(Brandschatzung) interpretiert1084. Bemerkenswert
ist, dass für die Nachweise von Waffen aus dieser
›zivilen‹ Siedlungsstelle auch an eine Bewaffnung
der ansässigen ländlichen Bevölkerung und an
die Rekrutierung von Wachmannschaften gedacht
wird1085. Mag für die Villa von Biberist-Spitalhof
aufgrund der Brandschichten in Kombination mit
Militaria und Skelettresten eine Deutung des Befun-
des in Zusammenhang mit einem Überfall nahe-
liegen, so bleibt schließlich für diesen und andere
›zivile Befunde‹ von Brand- oder Zerstörungsschutt
die Frage offen, ob aus diesen spezifischen Fund-
zusammenhängen geborgene Militaria, speziell
Angriffswaffen, überhaupt im Rahmen der Genese
des Befundes zum Einsatz gekommen waren oder
sich angesichts der generell unsicheren Zeiten
zum Zeitpunkt eines ›natürlichen‹ Schadensfeuers
lediglich im jeweiligen Haushalt befanden. Letzt-
lich vermögen weder vereinzelte Nachweise römi-
scher Militaria noch menschliche Skelettreste ohne
eindeutige Hinweise auf Gewalteinwirkung (vgl.
Kap. 16.5) oder eine Kombination beider Katego-
rien im Zusammenhang mit Zerstörungsbefunden
ein Überfallszenario oder eine kriegerische Ausein-
andersetzung stringent zu belegen. Wie die zuletzt
vorgelegten Beispiele Aventicum-Avenches, Colo-
nia Ulpia Traiana-Xanten oder Nida-Frankfurt/Hed-
dernheim zeigen, pendelt die Diskussion bezüglich
der (kultur-) historischen Interpretation römischer
Militaria aus vorwiegend zivil geprägten Siedlun-
gen zwischen dem Nachweis der permanenten
oder temporären Anwesenheit von Soldaten oder
Veteranen, zivilem Waffenbesitz, Waffenproduktion
oder Wiederverwertung und Reparatur von Militaria
sowie der Deutung als Belege für Kampfhandlun-
gen1086. Im Zusammenhang mit Militaria, die nicht
zu den Angriffs- oder Schutzwaffen zu zählen sind,
wäre auch auf die Möglichkeit der Produktion ziviler
Handwerker für das Militär als Auftraggeber hinzu-
weisen. Eine Interpretationsmöglichkeit, die auch
für die aus Insula XLI vorliegenden Gussformen für
Buntmetallartefakte mit Trompetenornamentik in
Betracht gezogen wurde1087.
Mag das Fehlen vergleichbarer Militaria wie in
Regensburg-Kumpfmühl oder Celemantia-Iža in
Flavia Solva-Wagna noch einigermaßen plausibel
mit dem Hinweis, es handle sich um eine Zivilsied-
lung ohne benachbarte Militäranlage erklärt wer-
1084 Schucany 2006, 269; Huber 2006, 495 f.; Kaufmann 2006,
686.
1085 Huber 2006, 495 f.
1086 Voirol 2001, 31 – 40; Lenz 2006, 103 – 106; Reis 2010,
236 – 245. Vgl. dazu auch: Fischer 2001, 13 – 18; Schucany
2005, 58.
1087 Vgl. Kap. 11.1.2.6; 11.1.3.2.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321