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Kat. 513 – 515 aus Raum P durch Drechseln erzeugt
wurden, können wir davon ausgehen, dass in bei-
den Werkräumen gedrechselt wurde. Da sowohl
das spezifische Werkzeug als auch die erzeugten
Artefakte mobil sind, ist allerdings nicht zwingend
auf mehrere Drechselbänke zu schließen.
Tafelgeschirr aus Terra Sigillata, darunter fünf
Schüsseln (Kat. 367 – 368. 372 – 373. 376) und ein
Teller (Kat. 632), legen nahe, dass Raum Q nicht
ausschließlich als Werkstatt genutzt wurde. Im
Zusammenhang mit der Ableitung möglicher wei-
terer Aktivitäten für Raum Q durch den Nachweis
von Tafelgeschirr ist besonders auf die Schüs-
seln Kat. 367 und 373 hinzuweisen. Beide Gefäße
besitzen Flickbohrungen, die vielleicht eine Sekun-
därverwendung in der Werkstatt nahelegen, die
den zwar geflickten, aber wohl dennoch undichten
Schüsseln besser entsprochen haben mag als eine
Verwendung als Tafelgeschirr. Andererseits möchte
ich nicht ausschließen, dass im Werkstattkomplex
der Räume P und Q auch Geschirr geflickt wurde.
Da Blei aus dem benachbarten Raum P vorliegt
(Kat. 651) und die typischen Bleiklammern offen-
sichtlich fehlen, jedoch saubere Bohrungen an den
Scherben nachgewiesen sind, könnte es sich um
zur Reparatur vorbereitete Gefäße handeln, wobei
allerdings einzuräumen ist, dass das Fehlen von
Bleiverklammerungen auch auf den Brandbefund
(beide Schüsseln weisen sekundäre Brandspuren
auf) zurückzuführen sein könnte.
Für die aus Raum Q vorliegenden Tierreste, die
keine konkreten Bearbeitungs- oder Zerlegungs-
spuren aufweisen, gelten grundsätzlich die gleichen
Überlegungen, die bereits im Zusammenhang mit
Raum P geäußert wurden. Da sich diese Tierreste
jedoch auf ein Langknochenfragment eines Rindes
sowie das Schulterblatt eines Rindes (oder Pfer-
des [?]) beschränken, d. h., mit dem zur Beinver-
arbeitung bevorzugt herangezogenen Rohmaterial
übereinstimmen, dürfte es sich nicht um Koch- oder
Speisereste, sondern eher um Knochen handeln,
die zur Bearbeitung in der Beinwerkstatt vorgese-
hen waren.
Nach den Funden von Nahrungsresten (vor allem
Pferdebohnen, vgl. Kap. 11.2.3) könnte Raum R
vielleicht als Vorratsraum anzusprechen sein214. Für
Periode I sind im nächsten Umfeld des Raumes R
(= Periode I: Raum K) zwei Feuerstellen (F28 und
F29) nachgewiesen, die vielleicht auf eine Verwen-
dung des Raumes, zumindest während Periode I,
als Darre hinweisen (vgl. Kap. 9). Vielleicht wäre
auch an eine Verwendung als Räucherkammer zu
denken215. Für Aventicum-Avenches wurde jeden-
falls nach Befunden auf benachbarte Aktivitäten
214 Groh 1996, 73 f.
215 Bezüglich Anlagen zur Verarbeitung organischer Rohstoffe
zuletzt: Deschler-Erb 2012c, 137 – 142 Abb. 2, 87. wie Beinmanufaktur, Metzgerei und Räuchern hin-
gewiesen216. Während Periode II könnte die Funk-
tion des Raumes auf die Vorratshaltung reduziert
worden sein, jedenfalls fehlen Hinweise auf Feuer-
stellen, die zur entsprechenden Wärmebehandlung
von Nahrungsmitteln gedient haben könnten. Der
Nachweis von Schädlingsbefall an den Pferdeboh-
nen spricht vielleicht für Tätigkeiten wie Auslese
oder Entsorgung in diesem Bereich. Bemerkens-
wert sind Scherben von zwei Typvertretern Drag. 37
(Kat. 363. 365), die als Belege für Tafelgeschirr nur
ungenügend mit den erfolgten funktionalen Deutun-
gen von Raum R vereinbar sind.
Raum S war nahezu fundleer, weshalb eine funk-
tionale Deutung schwierig ist. Vielleicht ist an
einen Wohnraum (Schlafzimmer [?]) zu denken217.
Das Wandfragment einer Terra Sigillata-Schüssel
(Kat. 416) weist auf den Gebrauch von Tafelgeschirr
hin.
10.2 Exkurs: Grube G32
Die im Hofbereich von Haus IV situierte Grube G32
(Lage: Abb. 3, Inventar: Abb. 22) könnte aufgrund
der Dimensionen (mindestens 4,5 × 3,2 m)218 viel-
leicht zur Entsorgung von Brandschutt aus Haus-
halten mehrerer Häuser genutzt worden sein (vgl.
Kap. 7). In Frage kommen dafür vor allem die Häu-
ser IV und V.
Zu diskutieren wäre, ob die Grube G32 noch vor
dem Brand angelegt worden war und lediglich
nach dem Brand zur Deponierung von Brandschutt
genutzt wurde, oder ob sie erst nach dem Bran-
dereignis, konkret zur Aufnahme von Brandschutt,
eingetieft wurde. Letztere Annahme erscheint aus
arbeitsökonomischen Gründen wenig plausibel219.
Da die bereits mehrfach erwähnten limitierenden
Prämissen bezüglich Zuordnung und Zusammen-
setzung des Fundmaterials (vgl. Kap. 5. 7) auch für
Grube G32 gelten, muss sich das Fundspektrum auf
die vorliegende zuordenbare Auswahl beschränken.
Da die nördliche, östliche und südliche Begrenzung
der Grube G32 nicht freigelegt werden konnte, ist
bezüglich Vollständigkeit und Repräsentativität der
Befunde und Funde dieses Fundzusammenhangs
keine Gewissheit zu erlangen.
Die Verfüllung der Grube bestand aus holzkohlerei-
chem schwarzbraunen Lehm, Mörtel sowie Funden
aus Bein und Keramik220.
216 Deschler-Erb 2012a, 117.
217 Groh 1996, 74.
218 Groh 1996, Plan 6.
219 Dagegen Groh 1996, 76: »Die Grube G32 ist in die Brand-
schuttschicht nach der Zerstörung eingetieft worden […]. In
dieser Grube wurde wahrscheinlich Schutt dieses Zerstö-
rungshorizontes entsorgt.«
220 Groh 1996, 221.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321