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den, so bereitet die Erklärung der Vakanz spezifisch
germanischer Militaria größere Schwierigkeiten.
Auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Mili-
taria in Regensburg-Kumpfmühl musste A. Faber
einräumen: »Eindeutig ›nichtrömische‹ Waffen fan-
den sich allerdings nicht.«1088 Diesbezüglich wies
T. Fischer jedoch darauf hin, dass diese Aussage zu
relativieren sei, da »bei einfacheren Pfeil- und Lan-
zenspitzen eine präzise Zuweisung oft nicht möglich
ist«1089. Diese Feststellung mag auch auf die Funde
eiserner Pfeilspitzen aus Celemantia-Iža zutreffen.
Als Funde germanischer Herkunft angesprochene
Artefakte aus dem Kastell gegenüber von Brige-
tio-Komárno können nicht direkt mit kriegerischen
Ereignissen verknüpft werden1090. Hinweise auf die
Anwesenheit von Germanen fehlen im vorliegenden
Fundmaterial aus Flavia Solva-Wagna. Dass diese
nicht vor Ort waren, dürfen wir daraus freilich nicht
zwingend ableiten. Kleinteilige Militaria können auf
einer archäologischen Ausgrabung auch überse-
hen werden, oder kann ein blitzartiger Überfall auch
keine oder kaum Spuren hinterlassen haben, die
sich archäologisch so abzeichnen, dass sie eindeu-
tig mit einem solchen Ereignis zu verbinden wären.
Andererseits könnte das Fehlen von Überresten
germanischer Militaria ebenso auf ein gezieltes
Durchsuchen des Brandschutts nach wiederver-
wertbaren Metallgegenständen zurückzuführen sein
(vgl. Kap. 7).
16.5 Menschliche Skelettreste
Auch mögliche Verluste an Menschenleben zeich-
nen sich im Fundmaterial der Periode II/II+ nicht ab.
Menschenknochen sind nicht nachgewiesen. Diese
könnten ohnehin nur unter den Prämissen, dass sie
aus einem Zerstörungshorizont geborgen wurden
und unverheilte Verletzungsspuren aufweisen1091,
die eindeutig nicht auf einen Unfall zurückzufüh-
ren sind, auf mögliche Kampfhandlungen bezogen
werden. Unbestattetes menschliches Knochenma-
terial könnte auch von Individuen stammen, die in
einem Schadensfeuer ohne Feindeinwirkung umge-
kommen sind. Ein Todesfall im Zuge von Brandbe-
kämpfung quod in incendio / restinguendo interi[t] ist
beispielsweise epigrafisch für Ostia belegt1092. Zwei
Individuen, von denen eines auch im Besitz eines
Schwertes war, und die jeweils im Brandschutt
eines gegen 180 n. Chr. abgebrannten Gebäudes
1088 Faber 1994, 93.
1089 Fischer 2009, 110. Dazu auch: Fischer 1994, 343.
1090 Rajtár 1992, 168 Abb. 20, 1 – 2. 6 (Bronzefibel, Beinkamm,
Keramiktopf); vgl. Rajtár 1996, 83 – 95 (keine »spezifisch ger-
manischen« Militaria).
1091 Einen knappen Überblick über Befunde von Kampfspuren an
menschlichen Überresten bietet Fischer 2009, 5 f.
1092 CIL Suppl. XIV, 4494. in Genf dokumentiert werden konnten, wurden als
Opfer einer Brandkatastrophe gedeutet1093.
Das Fehlen von Menschenknochen mag für den
vorliegenden und ähnliche Befund(e) andererseits
damit erklärt werden, dass diese geborgen und
nachträglich bestattet worden waren. Dies könnte
freilich sowohl nach einer Brandschatzung als
auch nach einem Schadensfeuer erfolgt sein. Bei-
spielsweise wurde ein eindeutig an Schuss- und
Hiebverletzungen verstorbenes männliches Indivi-
duum regulär im Gräberfeld von Viminacium beige-
setzt1094.
Grundsätzlich kann es für das Vorkommen mensch-
lichen Knochenmaterials in Siedlungsbefunden der
mittleren Kaiserzeit auch andere Erklärungen als
Feindeinwirkung oder Unfälle geben. Es könnte
dabei auch an Einfüllungen zu denken sein, die
etwa aus dem Bereich von älteren (z. B. prähisto-
rischen) Bestattungsarealen stammen, weshalb
eine Verbindung mit beispielsweise kriegerischen
Ereignissen oder ›natürlichen Katastrophen‹ an
die Evidenz entsprechender Zerstörungsschichten
zu knüpfen wäre. Verschiedene Möglichkeiten wie
Verschleppung von Bestattungen, sugrundaria oder
Sonderbestattungen im Zusammenhang mit ritu-
ellen Handlungen wurden zuletzt für Befunde mit
menschlichen Skelettresten in Nida-Frankfurt/Hed-
dernheim diskutiert1095. Aufgrund der festgestellten
Verletzungsspuren erscheint die vorgeschlagene
Verknüpfung der menschlichen Überreste aus Nida-
Frankfurt/Heddernheim mit kriegerischen Ereignis-
sen des 3. Jahr hunderts n. Chr. plausibel1096.
Brandbefunde und Skelettreste aus Hofheim, dar-
unter auch ein Skelett, dessen Schädel eine eindeu-
tige Spur von Gewalteinwirkung aufweist, werden
von Emil Ritterling mit dem Einfall der Chatten von
51 n. Chr. verknüpft1097.
Skelettreste aus einer Brunnenverfüllung in Salla-
Zalalövő wurden mit Aufräumarbeiten nach den
Markomannenkriegen in Zusammenhang gebracht
(vgl. Kap. 10.2; 15). Im Kastellvicus und Kastell-
graben von Rheingönheim aufgefundene Skelett-
reste wurden mit den turbulenten Ereignissen des
Vierkaiserjahres in Beziehung gesetzt1098. Aus Zer-
störungsbefunden des 3. Jahr hunderts n. Chr. in
Niederbieber1099 und Rapis-Schwabmünchen1100
liegen Funde von Menschenknochen vor. Im Brand-
schutt innerhalb des südöstlichen Eckturms des
Kastells Pfünz wurden menschliche Skelettreste
1093 Haldimann u. a. 1991, 198 Abb. 9 – 11; 204.
1094 Golubović u. a. 2009, 55 – 63.
1095 Reis 2010, 162 – 166.
1096 Blänkle 2010, 277 – 292; Hahn 2010, 292 – 304.
1097 Ritterling 1912, 85 – 90.
1098 Ulbert 1969, 9. 16.
1099 Ritterling 1937, 23.
1100 Sorge 2002, 73.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321