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und mit der Mündungsseite erneut formender Hitze-
einwirkung ausgesetzt. Eine entsprechende (Heft-)
Narbe zeichnet sich ringförmig, annähernd kon-
zentrisch zum Zentrum der Bodenaußenseite der
Schale ab.
Das Bodenfragment Kat. 2 darf nach der Neigung
des nur geringfügig erhaltenen Ansatzes der Gefäß-
wandung vielleicht formal eher einem Becher, z. B.
der Form Lazar 3.4.1, als einer Schale zugeordnet
werden. Eine (Heft-)Narbe entsprechend Kat. 1 ist
vorhanden.
Sowohl für die Schale Kat. 1 als auch das Boden-
fragment Kat. 2 ist die Annahme einer lokalen Pro-
duktion in Flavia Solva-Wagna, die zur Abdeckung
des regionalen Bedarfs diente, plausibel. Glasma-
cherwerkstätten sind im Munizipium in erster Linie
indirekt durch charakteristischen, sekundär depo-
nierten Herstellungsabfall nachgewiesen, aber
auch konkrete Ofenbefunde konnten aufgedeckt
werden239. Forschungen zur Arbeitsorganisation,
Produktpalette und Zeitstellung dieser Betriebe
im Verhältnis zu jenen, die im Vicus von Gleisdorf
festgestellt werden konnten240, sind nach wie vor
ein Desiderat. Anhand der Fundorte der für Schale
Kat. 1 genannten Vergleichsbeispiele könnte durch-
aus von mehreren kontemporär betriebenen Glas-
hütten, die entsprechendes einfaches Geschirr im
Stadtterritorium von Flavia Solva-Wagna erzeugten,
auszugehen sein. Dass für die Nordwestprovin-
zen des Imperium Romanum spätestens ab dem
2. Jahr hundert n. Chr. mit einer deutlichen Zunahme
der lokalen Produktion von Glaswaren durch sog.
secondary workshops zu rechnen ist, wurde von der
Forschung mehrfach betont241.
Das Wandfragment Kat. 3 ist einer Schale oder
einem Becher zuzuordnen. Das Gefäß wurde frei
geblasen und mit einem Dekor aus (auf der Dreh-
bank [?]) eingeschliffenen und/oder gerissenen
parallelen horizontalen Linien versehen. Wegen
dieser aufwendigeren Gestaltung darf vielleicht an
ein Importstück gedacht werden. Eine Zuordnung
an die Form Isings 12 ist auch aufgrund chronologi-
scher Kriterien unsicher242.
11.1.2 Keramik
Das aus dem Brandschutt der Periode II/II+ vorlie-
gende Fundmaterial aus Keramik wurde mehrfach
gegliedert: grobe Gefäßkeramik, vorwiegend auto-
chthoner Provenienz; feine Gefäßkeramik – autoch-
239 Hudeczek 1988, 106; Glöckner 1996, 74.
240 Glöckner 1996, 74.
241 van Lith – Randsborg 1985, 463; Rottloff 2002, 248; Lazar
2003, 237.
242 Isings 1957, 27 – 30 (≈ ab Mitte 1. Jh. n. Chr.). thone Fabrikate und Importware; Keramiklampen –
autochthone Fabrikate und Importware; importierte
Gefäßkeramik; Terra Sigillata; (Produktions-) Tech-
nische Keramik sowie Baukeramik und keramische
Baustoffe.
Insgesamt liegen aus dem Fundmaterial der
Periode II/II+ der Insula XLI von Flavia Solva-
Wagna mindestens 450 Artefakte aus Keramik
vor (Kat. 4 – 432. 624 – 644). Darüber hinaus wur-
den insignifikantere Keramikscherben, die von
einer lediglich annähernd schätzbaren Gefäßzahl
(Kat. 685 – 818) stammen, summarisch im Katalog-
teil der Publikation erfasst (vgl. Kap. 19.4).
Für jene keramischen Fundgattungen, für die
bewährte und etablierte Klassifizierungen und Typo-
logien existieren, wurde freilich auf diese zurückge-
griffen (Amphoren: Dressel, Lampen: Loeschcke,
Terra Sigillata: Drag., TSTP: Consp. etc., vgl.
Kap. 21.2). Für die sog. grobe Gefäßkeramik, vor-
wiegend autochthoner Provenienz sowie die sog.
feine Gefäßkeramik (autochthone Fabrikate und
Importware) wurde dagegen nach den vorliegenden
Funden ein eigenes typologisches System entwi-
ckelt (vgl. folgendes Kap. 11.1.2.1).
11.1.2.1 Typologie: Methode
Innerhalb des Gefäßkeramikspektrums signifikante
Formen wurden als Typen definiert. Kriterien zur
Bildung von Typen waren möglichst vollständiger
Erhaltungszustand und mögliche zeichnerische
Rekonstruktion sowie Signifikanz bezüglich Datie-
rung und Distribution. Im Idealfall existierte eine
gewisse weitere Bestätigung des stratigrafisch vor-
gegebenen sowie durch Münzfunde und Importware
näher bestimmten Zeitansatzes des Brandhorizon-
tes der Periode II/II+ der Insula XLI um 170 n. Chr.
durch den Nachweis von Typvertretern in anderen
geschlossenen Befunden entsprechender Zeit-
stellung, z. B. einem Grab der zweiten Hälfte des
2. Jahr hunderts n. Chr. Lediglich fragmentarisch
erhaltene und nur vereinzelt nachgewiesene Gefäß-
formen, für die auch keine fundiert datierten Belege
aus anderen Befunden vorliegen, wurden deshalb
hinsichtlich einer Ansprache als Typ sowie zur
Typenbildung bewusst nicht berücksichtigt.
Abgeleitet von der Datierung des vorliegenden
Befundes darf – Laufzeiten einkalkuliert – grund-
sätzlich von einem Vorkommen der definierten
Typen mindestens während der zweiten Hälfte des
2. Jahr hunderts n. Chr. ausgegangen werden. In
diesem Zusammenhang ist freilich einzuräumen,
dass diese chronologische Einordnung auf dem
Nachweis der Vergesellschaftung mit dem »um
170 n. Chr.« datierten Brandschutt basiert, die mit
der plausiblen Annahme von Laufzeiten, die vor die-
sem Zeitpunkt einsetzen und erst nach diesem Zeit-
punkt enden, verknüpft wurde. Die angenommenen
Laufzeiten wurden bewusst auf einen knappen Zeit-
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321