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dürfen830. Funde aus dem römischen Augusta Rau-
rica-Augst erlauben eine detailliertere Beschreibung
der Vorgangsweise: Zur Markgewinnung wurden die
Knochen mit einem Hackmesser oder -beil entlang
der Quer- und Längsachse aufgespalten831.
Eine Ausnahme von den erwähnten Küchenabfäl-
len bildet das Knochenfragment Kat. 623, bei dem
es sich um Küchenabfall handeln kann, der aller-
dings, wie die Verbissspuren (z. B. eines Haushun-
des [?]) belegen, wieder der Nahrungskette zuge-
führt wurde.
11.2.3 Archäobotanik832
Aus Periode II/II+ der Insula XLI von Flavia Solva-
Wagna liegen für Proben aus den Räumen E und
I/1 des Hauses II sowie aus Raum R des Hauses IV
paläobotanische Bestimmungen vor, die bereits
1996 publiziert wurden833. Es handelt sich dabei
vorwiegend um verkohlte Überreste von Kulturpflan-
zen (vgl. Kap. 7). Sowohl Getreide (Rispenhirse,
Saatweizen) als auch Hülsenfrüchte (Erbse, Acker-
bzw. Pferdebohnen834) konnten identifiziert werden.
Rispenhirse (Panicum miliaceum)835 zählt zu den
Spelzgetreiden, d. h., im Zuge der Aufbereitung
pflanzlicher Nahrung ist eine Entspelzung, z. B.
durch Dreschen und Darren, notwendig.
In Noricum konnte Rispenhirse am Burgstall bei St.
Margarethen im Lavanttal836, in Favianis-Mautern837
und am Frauenberg838 sowie am Magdalensberg839
nachgewiesen werden. Für die benachbarte Pro-
vinz Pannonia superior ist das Getreide entlang der
Bernsteinstraße in Carnuntum840 und Scarbantia-
Sopron841 belegt. Nördlich der Donau liegen Funde
vom Oberleiser Berg842 und aus Straning843 vor.
830 Berke 1995, 303 – 306; Ambros 1995, 106; Vanderhoeven –
Ervynck 2007, 162.
831 Schmid 1968, 186.
832 Alle Bestimmungen: Ursula Thanheiser, Michaela Po-
povtschak.
833 Groh 1996, 148 f. Tab. 19.
834 Körber-Grohne 1979, 46 – 49 Abb. 32; Stika 1996, 101.
835 Matterne 2001, 103.
836 Popovtschak 2011, 256 Tab. 49 (Perioden 3 – 5: 90/100 – nach
276/277 n. Chr.).
837 Popovtschak 2002, 417 Tab. 254 f.; 418 Tab. 256; 419 Tab.
257; 420 Tab. 258; 423 Tab. 259 (Kastell, Perioden 2 – 7:
100/110 – 480/500 n. Chr.). Vicus: Popovtschak 2001, 86
Tab. 12.
838 Popovtschak 2005, 192 (Periode 9: Spätantike).
839 Werneck 1969, 24 (spätrepublikanisch–claudisch).
840 Schneider – Raunjak 1994, 211 (Legionslagerareal, fragliche
Nachnutzung während Spätantike bzw. Völkerwanderungs-
zeit). Thüry 2006, 339.
841 Gömöri 2001, 226 (Spätantike bzw. Völkerwanderungszeit).
842 Schneider – Raunjak 1994, 193. 209 – 211. 215 Tab. 1; 223
Tab. 5. 7; 226 Tab. 9; 229, Tab. 11 (Spätantike bzw. Völker-
wanderungszeit).
843 Schneider – Raunjak 1994, 211 (Spätantike bzw. Völkerwan-
derungszeit). Proben aus dem Vicus von Vitudurum-Winterthur
zeigen für die erste Hälfte des 1. Jahr hunderts n.
Chr. Rispenhirse als häufigste Getreideart an844.
Dieses Bild konnte zuletzt für die übrige Nord-
schweiz sowie Südwestdeutschland bedingt bestä-
tigt werden, ist aber nicht zwingend hinsichtlich
eines möglichen Anbauschwerpunkts zu interpretie-
ren845. Eine gleichzeitige Nutzung von Hülsenfrüch-
ten, wie es sie während Periode II/II+ der Insula XLI
von Flavia Solva-Wagna gab, konnte für Vitudurum-
Winterthur nicht nachgewiesen werden846.
Rispenhirse zählt zu den sog. Sommergetreiden.
Diese werden im Frühling gesät und im Sommer
desselben Jahres geerntet. Falls es sich bei der vor-
liegenden Rispenhirse also um eine ›aktuelle‹ Ernte
handelt, wäre von einem Zeitpunkt des Brandes auf
dem Areal der Insula XLI von Flavia Solva-Wagna
während der Herbst- oder Wintermonate oder des
Frühlings des folgenden (modernen) Kalenderjah-
res auszugehen. Die zeitlich korrespondierenden,
für Anbau und Ernte der nachgewiesenen Hülsen-
früchte günstigen Monate sprechen grundsätzlich
nicht gegen diese Annahme. Saatweizen konnte
jedoch als Sommer- oder Winterfrucht angebaut
werden847. Die Möglichkeit, dass es sich bei den
archäobotanischen Makroresten um über einen
längeren Zeitraum eingelagerte Erträge länger
zurückliegender Ernten handelt, bildet zudem einen
weiteren Faktor, der die feinchronologische Verwert-
barkeit dieser Überlegungen relativiert.
Die Aufbereitung von Saatweizen (Triticum
aestivum)848 sieht als Nackt- oder Dreschweizen849
lediglich eine Reinigung des Korns von der Hülls-
pelze durch Dreschen und Sieben oder Worfeln vor.
Eine aufwendigere Entspelzung durch zusätzliche
Verfahren wie Darren ist zur Weiterverarbeitung
nicht notwendig. Saatweizen dient während der
Römerzeit vor allem als Rohstoff zur Gewinnung
von Mehl für das Backen von Brot aus Sauerteig.
Für Noricum lassen sich weitere Belege von Saat-
weizen für den Burgstall bei St. Margarethen im
Lavanttal850, aus Favianis-Mautern851, Lauriacum-
Enns und Ovilavis-Wels852 sowie aus Virunum-
Zollfeld853 anführen. Für die benachbarte Provinz
Pannonia superior liegen aus dem Bereich an der
844 Jacquat 1986, 244. 252 Tab. 1, A.1.
845 Stika 1996, 97. 142.
846 Jacquat 1986, 262.
847 Jacquat 1986, 287.
848 Matterne 2001, 102.
849 Körber-Grohne 1979, 28 f. Abb. 16 – 17. Vgl. die Zusammen-
stellung bei: Kooistra 2012, 176 Tab. 1.
850 Popovtschak 2011, 256 Tab. 49 (Perioden 4
–
5: 140/150
–
nach
276/277 n. Chr.).
851 Popovtschak 2002, 419 Tab. 257; 420 Tab. 258; 423 Tab. 259
(Kastell, Perioden 5 – 7: 260/270 – 480/500 n. Chr.).
852 Werneck 1954, 89 f. 94.
853 Wolf 2004, 162 (Wende 1./2. Jh. n. Chr.).
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321