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Dieses Kapitel ist besonders der Chronologie, Dis-
tribution, Ergologie und Herstellungstechnik von
spezifischen Kleinfundgattungen aus anorgani-
schen und organischen Materialien gewidmet. Die
Ordnung der Fundstücke folgt primär dem Herstel-
lungsmaterial. Innerhalb der großen Kategorien
anorganischer und organischer Materialien wie
Glas, grobe Gefäßkeramik vorwiegend autochtho-
ner Provenienz, Stein, Bein und Hornartefakte etc.
wurde eine weitere Differenzierung nach formalen
und funktionalen Kriterien vorgenommen.
Bei der Dokumentation der Fundstücke wurde eine
Auswahl insofern getroffen, als dass als aussage-
kräftig bestimmte Fragmente abgebildet werden,
während weniger signifikante Fragmente lediglich
summarisch unter der Rubrik »Fundstücke von
geringerer Signifikanz (ohne Abbildung)« am Ende
des Katalogs und im Text berücksichtigt werden, um
dem Anspruch auf Vollständigkeit nachzukommen.
11.1 Anorganisches Fundmaterial
Das aus dem Brandschutt der Insula XLI, Periode II/
II+ vorliegende anorganische Fundmaterial umfasst
die Kategorien Glas, Keramik, Metall, Schlacke und
Stein.
11.1.1 Glas
Im vorgelegten Fundmaterial der Periode II/II+
sind lediglich neun Artefakte aus Glas vertreten
(Kat. 1 – 3. 680 – 684).
Die Nachweise von Glasobjekten aus dem Brand-
schutt sind funktional vorwiegend dem Trinkgeschirr
zuzurechnen. Ein Glaskrug (Kat. 680) der Form
Isings 50, bei dem es sich um Transport- oder Vor-
ratsgeschirr, vielleicht auch Tafelgeschirr handeln
kann, und vier Fragmente von drei weiteren, nicht
näher bestimmbaren Glasgefäßen (Kat. 681 – 682)
wurden aufgrund des stark fragmentarischen Erhal-
tungszustandes ohne Abbildung in den Katalog
aufgenommen. Fragmente von Fensterscheiben
(Kat. 683 – 684) belegen die Ausstattung von Haus II
während Bauperiode II mit Fensterglas (vgl. Kap. 9).
Auffallend ist der gegenüber Tafelgeschirr aus
Keramik lediglich geringe Nachweis von Glasge-
fäßen entsprechender Funktion. Vielleicht darf für
den westlichen Stadtrand von Flavia Solva-Wagna
während Periode II tatsächlich eine bevorzugte Ver-
wendung von Trinkgeschirr aus sog. feiner Gefäß-
keramik (vgl. Kap. 11.1.2.3) angenommen werden.
Die Gründe dafür können vielfältig sein und müssen
nicht mit einem höheren Preis der Glasgefäße, die
– verglichen mit Tafelgeschirr aus feiner Gefäßke-
ramik – keines höheren Produktionsaufwandes
bedurften, zusammenhängen. Eventuell unberück-
sichtigte, komplett verschmolzene Glasgefäße lie- gen aus dem Brandschutt nicht vor. Der geringe
Nachweis von Glasartefakten mag andererseits
vielleicht durch das kontinuierliche und sorgfältige
Aussortieren von Alt- und Bruchglas zur Wieder-
verwertung zu erklären sein. Grundsätzlich ist ein-
zuräumen, dass das Einsammeln verschmolzener
Glasreste auch nach der Brandkatastrophe aus
dem Brandschutt möglich, hinsichtlich einer Wieder-
verwertung des Glases wegen der Kontaminierung
mit dem übrigen Brandschutt allerdings kaum sinn-
voll war.
Die Schale Kat. 1 ist formal den Formen Barkoćzi
61 – 62, Isings 44/85 oder Lazar 2.3.2 ähnlich. Wäh-
rend die Anlehnung an die Formen Isings 44 und
Lazar 2.3.2 eher für eine zeitliche Einordnung in die
zweite Hälfte des 1. Jahr hunderts n. Chr. spricht229,
legt die Ähnlichkeit mit den Formen Barkoćzi
61 – 62 und Isings 85 eine Datierung in die zweite
Hälfte des 2. Jahr hunderts n. Chr. nahe230, die mit
dem Datierungsansatz der Brandschuttschicht der
Periode II/II+ der Insula XLI um 170 n. Chr. harmo-
niert. Vielleicht dürfen wir die vorliegende Schale
Kat. 1 deshalb einer (wohl lokalen, s. u.) Produktion
zurechnen, die sich formal an den von L. Barkoćzi
nach Fundmaterial aus der östlichen Nachbarpro-
vinz Pannonien generierten Formen orientierte.
Weitere Belege für ähnliche Glasgefäße in Flavia
Solva-Wagna stammen aus den Insulae XI231 und
XLIII232. Im Stadtterritorium des Munizipiums sind
vergleichbare Glasschalen in den Vici von Gleis-
dorf233, Kalsdorf234 und Saaz235 sowie in der Villa
von Rannersdorf236 und im norisch-pannonischen
Hügelgräberfeld von Kapfenstein237 nachgewiesen.
Belege aus dem Vicus von Saaz stammen vorwie-
gend aus Periode 4.1, deren zeitlicher Rahmen
mit den Jahren 170/180 – 200 n. Chr. angegeben
wird238. Diese Zeitspanne deckt sich mit der Datie-
rung des vorliegenden Befundes und der von dieser
plausibel abzuleitenden Mindestlaufzeit (2. Hälfte 2.
Jh. n. Chr.) vergesellschafteter Funde.
Die einfache Glasschale Kat. 1 ist frei geblasen
und besitzt einen angeschmolzenen Standring. Zur
Gestaltung der tropfenförmig verdickten Mündung
wurde das Gefäß auf dem Hefteisen oder auf dem
auf der Pfeife verbliebenen Glaszylinder montiert
229 Isings 1957, 59 f.; Lazar 2003, 71 f.
230 Barkoćzi 1988, 69 f.; Isings 1957, 101 – 103.
231 Porod u. a. 2007, 195. 197. 204 Taf. 1, 11 – 12.
232 Seehauser 2007, 144. 190 Taf. 28, 167. 169.
233 Artner 1994, 39 f. Abb. 18, -/21; 70 Taf. 8, 5 (Grab 21, 2. Hälfte
2.–Anfang 3. Jh. n. Chr.).
234 Glöckner 1996, 73. 76 f. Abb. 1, 7 (Isings 85b, weitere Paral-
lelen aus Kalsdorf, Kapfenstein und Flavia Solva-Wagna).
235 Lehner 2006, 167.
236 Schrettle – Tsironi 2007, 244. 321 Taf. 32, 7 (mit weiteren
Nachweisen aus Virunum-Zollfeld).
237 Urban 1984, 103 – 105 Taf. 61, 41 (Hügel 37, 2. Jh. n. Chr.).
238 Lehner 2006, 53. 168 Tab. 16.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321