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Kat. 82 dürfte von einem Vorratsgefäß stammen.
Auch Fragmente von zwei feinkeramischen (biko-
nischen) Töpfen Typ 1 oder der Variante 1.1 (Kat.
783) würde ich mit Vorratshaltung in Verbindung
bringen. Tafelgeschirr aus Terra Sigillata liegt
durch die Schüsseln Kat. 356, 408, 410 und die
Teller Kat. 334, 636 vor. Trinkgeschirr wäre durch
Wandfragmente eines Faltenbechers (Kat. 768)
belegt. Bei den Messern Kat. 442, 654 – 655 dürfte
es sich durchaus um Küchenmesser handeln (vgl.
Kap. 11.1.3.3). Unter dem Eindruck der Feuer-
stelle und Messer erscheint eine Verknüpfung des
aus Raum J vorliegenden Rinderknochens mit der
Aufbereitung oder Konsumation tierischer Nahrung
plausibel. Die Auffindung des Becherbodens Kat. 58
und die darin aufgefundenen Münzen Mü 30, 34, 40
und 193 weisen darauf hin, dass in Raum J auch
kleinere Geldbeträge vorhanden waren. Ob der
Befund auf die ›Sparbüchse‹ einer Einzelperson,
eine ›Haushaltskassa‹ oder ›Wechselgeld‹, oder
aber auch auf eine ›Kassa‹ im Rahmen gewerb-
licher Tätigkeit zu beziehen ist, muss offenbleiben
(vgl. Kap. 11.1.3.1).
Die angeführten funktionalen Zuweisungen weisen
darauf hin, dass es sich bei den gegen den Hof-
bereich orientierten Räumen F, H und J primär um
Wohnräume mit Kochstelle oder Küchen handelt201.
Während die Räume der straßenseitigen Raum-
flucht E-G-I/1 jeweils einen Lehmboden besitzen,
sind die Räume der hofseitigen Raumflucht F-H-J
jeweils mit einem Schotterboden ausgestattet.
Vielleicht darf für die auf die Nord-Süd-Straße aus-
gerichteten Räumen E und I/1 auch nach dieser Ori-
entierung eine kommerzielle Nutzung angenommen
werden. Für den Raum E wäre in diesem Zusam-
menhang neben der Funktion als Vorratsraum
vielleicht auch an eine Nutzung als Speisezimmer
oder Gaststube zu denken. Der als Küche gedeu-
tete Raum I/1 könnte ebenso für Passanten von der
Straße aus zugänglich und mit einem kleinen Gäs-
tebereich versehen gewesen sein. Bemerkenswert
ist, dass in Haus II mehrere als Küche interpretierte
Räume vorliegen. Vielleicht dürfen für Haus II des-
halb mehrere Haushalte und/oder die gewerbliche
Nutzung von Küchen angenommen werden. Für
Tabernen in Augusta Raurica-Augst konnte nach
spezifischen Funden plausibel auf die Einrichtung
von gewerblich ausgelegten Gastronomiebetrieben
geschlossen werden202.
201 Vgl. Groh 1996, 64.
202 Deschler-Erb 2002, 231. 10.1 Exkurs: Grube G21
Grube G21 (Lage: Abb. 3, Inventar: Abb. 19) befin-
det sich im Westteil von Raum E des Hauses II der
Insula XLI. Die annähernd quadratisch bis leicht
rundliche Hohlform misst etwa 0,6 × 0,5 m203. Die
Grubenverfüllung bestand aus Hüttenlehm, Holz-
kohle und Bruchsteinen sowie Glas- und Keramik-
fragmenten204. Das Fundspektrum setzt sich aus
Glasgefäßfragmenten (Kat. 680), dem Fragment
einer Fensterscheibe (Kat. 684), Terra Sigillata
(Kat. 351) und anderer Feinkeramik (Kat. 267), gro-
ber Gefäßkeramik (Kat. 115) sowie einem Eisen-
fragment (Kat. 450) zusammen.
Bemerkenswert sind verschiedene Gefäßkerami-
ken, deren anpassende Fragmente z. T. aus der
Grube G21, z. T. aus der Brandschuttschicht in
Raum E, z. T. von anderen Flächen (bzw. Quadran-
ten) stammen (Kat. 83. 90. 91. 276).
Bruchstücke des Topfes Kat. 83 stammen auch
aus Raum E (Bereich außerhalb Grube G21) sowie
aus Raum G oder Raum H. Weitere Fragmente
des Topfes Kat. 90 liegen aus Quadrant C2, d. h.
dem Bereich der Räume G und H vor. Fragmente
des Topfes Kat. 91 sind auch in Raum E (Bereich
außerhalb G21) sowie vielleicht auch in den öst-
lich und südlich benachbarten Räumen F und G
nachgewiesen. Fragmente des Topfes Kat. 276
stammen z. T. aus dem Raum E östlich benachbar-
ten Raum F.
In diesem Zusammenhang ist auch auf nicht abge-
bildete insignifikantere Fragmente von zwei Töpfen
(Kat. 703. 736) hinzuweisen, die sowohl aus Grube
G21 als auch Raum E und vielleicht Raum G stam-
men dürften.
Da dieser ›distributive Befund‹ in Zusammen-
hang mit der Grube G21 immerhin für vier Gefäße
nachweisbar ist, es sich also um kein singuläres
Phänomen handelt, dürfen wir postdepositionale
Prozesse, die auf natürlichen, nicht anthropoge-
nen Eingriffen beruhen, als Ursache wohl eher aus-
schließen. Für diese Befundlage bieten sich des-
halb in erster Linie zwei Erklärungen an. Einerseits
könnte von einer unsystematischen und unvollstän-
digen Abfallbeseitigung vor dem Brandereignis,
andererseits von gewissen Aktivitäten, z. B. Auf-
räumarbeiten, Durchsuchen des Brandschutts nach
Wiederverwertbarem etc. (vgl. Kap. 7), nach dem
Brandereignis auszugehen sein. Die sekundären
Brandspuren an den Töpfen, deren Fragmente auch
aus Bereichen von Haus II, die außerhalb der Grube
G21 liegen, stammen, können zur Argumentation
nicht herangezogen werden, da vor dem Brand
außerhalb der Grube deponierte Gefäßfragmente
schließlich von dem Brandereignis betroffen waren.
203 Groh 1996, Plan 5.
204 Groh 1996, 221.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321