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10 Kaiserin und Reich: Einleitung
des 19. Jahrhunderts stehenden Verständnis orientiert war, hat aber weder die Frage nach
der Anwesenheit, geschweige denn nach der Handlungsmacht von Frauen bei Reichsver-
sammlungen bzw. im Reichsverband überhaupt gestellt4. Hintergrund dafür waren zeitge-
nössische Vorstellungen der Relation von Politik und Geschlecht – Staat und öffentliches
Leben wurden im 19. und 20. Jahrhundert normativ als „männlich“, Privatleben dagegen
als „weiblich“ geschlechtlich markiert5. Es schien aus dieser Sicht allenfalls als Ausnahme
denkbar, dass Frauen im frühneuzeitlichen Reich eine irgendwie bedeutsame Rolle gespielt
hätten. Der Umstand, dass das Handeln von Frauen in den von der Politik- und Verfas-
sungsgeschichte lange Zeit vorrangig genutzten Quellen staatlicher Provenienz nur selten
aufscheint, trug zu diesem Ausschluss zweifellos bei.
Denkt man das Reich in erster Linie von seinen politischen Institutionen her, so wie es
die Forschung eben lange Zeit getan hat, dann liegt auf der Hand, dass Frauen, auch sol-
che fürstlicher Herkunft, nur in sehr begrenztem Maße eine aktive Rolle spielen konnten:
Wie nahezu alle anderen frühneuzeitlichen Formen formalisierter Herrschaftsausübung
blieben die Institutionen des Heiligen Römischen Reiches entsprechend zeitgenössischer
Normen der aktiven Mitwirkung von Frauen weitgehend verschlossen6. Institutionalisie-
rung war eindeutig geschlechtsspezifisch geprägt. Das heißt jedoch nicht, dass eine genau-
ere Untersuchung keine Hinweise auf weibliche Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten
im institutionellen Rahmen erbringen könnte – dass eine frauen- und geschlechterge-
schichtlich orientierte Forschung in den letzten zwanzig Jahren dezidiert nach der Rolle
und den Handlungsfeldern von Fürstinnen gefragt hat, veränderte das Bild hier bereits er-
kennbar. So ist in jüngerer Zeit etwa dargestellt worden, wie Frauen verschiedensten Stan-
des das Reichskammergericht und den Reichshofrat, die beiden wichtigsten gerichtlichen
Institutionen des Reiches, regelmäßig nutzten, um ihre Interessen in juristischen Ausein-
andersetzungen zu wahren bzw. durchzusetzen7. Und es gab im Heiligen Römischen Reich
immer einige wenige Frauen, die kraft ihres Amtes selbst über die Reichsstandschaft ver-
fügten, also Fürstinnen aus eigenem Recht waren.
Dabei handelte es sich um die Äbtissinnen reichsunmittelbarer Stifter wie Quedlin-
burg, Essen, Herford oder Nieder- und Obermünster in Regensburg8. Sie übten weltliche
Herrschaftsaufgaben bis hin zur Wahrnehmung der hohen Gerichtsbarkeit nicht nur im
4 Überblicke bei Schnettger, Kleinstaaterei; Carl, Schwerfälligen Andenkens; Ehrenpreis, New
Perspectives.
5 Becker, Gender in the History, 846f.; Frevert, Mann und Weib, 39, 59, 66–74; Gerhard, Grenz-
ziehungen.
6 Wunder, Herrschaft, 50–54.
7 Westphal, In eigener Sache.
8 Z. B. Küppers-Braun, Dynastisches Handeln; Schröder-Stapper, Fürstäbtissinnen; Wunder,
Herrschaft, 44f.; Wiesner Hanks, Gender and Power, 203–210.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427