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Welche Rechte hat die Kaiserin? 51
versehen sei, die sich jedoch ausnahmslos aus dem Rang ihres Ehemannes ableiteten169. Mit
größerer Breitenwirkung als Titius vollzog Johann Peter von Ludewig im 1719 erschiene-
nen zweiten Band seiner „Vollständigen Erläuterung der Güldenen Bulle“ die Eliminie-
rung der aus römischer Tradition hergeleiteten Rechte.
Er betonte dabei zunächst wie üblich, dass alle Rechte der Kaiserin aus der Ehe resul-
tierten, setzte aber schon hinzu, dass zudem die „sichern Reichs-Satzungen und Gewohn-
heiten“ als deren Basis heranzuziehen seien. Als Privilegien betrachtete er den Rang der
Kaiserin, der sie über alle Königinnen setze, den Umstand, dass ihr Testament ohne Be-
stätigung gültig sei und dass sie das Ius fisci beanspruchen könne. Außerdem führte er an,
dass ihr die Ausfertigung von Panisbriefen sowie Primarias Preces für weibliche Reichsklös-
ter zustehe und dass ihr Ehemann als ihr Richter fungieren könne170. Was andere Vorrechte
betreffe, würden „die Rechtsgelahrte, als Fritshius [!] de Augusta cap. 6, 7, 8, Mollenbek de
augusta imperatrice thesi 6.17 allzu römisch sich aufführen, da sie hingegen andere Dinge
finden würden, wenn sie ein Auge auf das Teutsche Herkommen richteten, wie es von Zeit
zu Zeiten die Teutsche Kayser mit ihren Gemahlinnen gehalten“171.
Jakob Karl Spener, zeitweise Kollege Ludewigs in Halle, nahm etliche dieser Aussagen in
sein 1727 erschienenes Werk mit ausführlichen Erörterungen zur Kaiserin auf, formulierte
aber deutlicher als Ludewig selbst, dass die Kaiserin die eigentlichen „jura reservata“, die
kaiserlichen Reservatrechte, nicht ausüben könne, da sie als Frau zu deren Ausübung nicht
fähig sei. Von etlichen der lange immer wieder genannten Rechte aber, die die „Römischen
Rechts-Gelahrten“ angeführt hätten, wie die Äquivalenz der Rechte des Hofstaates der Kai-
serin mit dem des Kaisers, dem Ius fisci oder der Gültigkeit von Schenkungen ohne Bestäti-
gung, wisse er „nach dem Teutschen Herkommen … nicht vieles anzuführen“172.
Ähnlich wie Ludewig mit seinem Hinweis auf die Panisbriefe173 reduzierte Spener jedoch
die Liste der Privilegien einer Kaiserin nicht nur: Unter Hinweis auf ein mittelalterliches
Fallbeispiel postulierte er die Möglichkeit der Kammerverwaltung durch die Kaiserin174 und
sprach ihr in der Tradition früherer geistlicher Stiftungen und mit Verweis auf den Stern-
169 Titius, Specimen iuris publici, 572f.
170 Ludewig, Vollständige Erläuterung, Bd. 2, 641f. Zu den Panisbriefen als spezieller Form der kai-
serlichen Almosengabe siehe Dickel, Panisbriefe.
171 Ludewig, Vollständige Erläuterung, Bd. 2, 642.
172 Spener, Teutsches Iuris Publici, 259–270, Zitate 267 bzw. 268f.
173 Den Spener ebenso aufnahm (Spener, Teutsches Iuris Publici, 260f.) wie Zedler (Zedler, Uni-
versal-Lexicon, Bd. 15, 347), wobei letzterer in mehrerer Hinsicht eng an Spener orientiert scheint.
Moser (Moser, Neues Teutsches Staatsrecht, 658f.) lehnte diese Erweiterung jedoch dezidiert ab.
174 Dies taten ihm folgend dann etwa auch Struve (Struve, Corpus iuris publici, 571) und Zedler
(Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 15, 347). Das Beispiel war Kaiserin Judith, siehe Kasten, Krö-
nungsordnungen, 250.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427