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72 Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit
eine Kontinuität in ritueller Hinsicht durch Rückgriff auf spätmittelalterliche Vorschriften
anstrebte. Dass die mittelalterlichen Ordines die Königinnen- bzw. Kaiserinnenkrönung
immer in Verbindung mit der des Kaisers darstellten und sich nahezu völlig auf liturgi-
sche Texte konzentrierten, lässt dies auf den ersten Blick plausibel scheinen, wurde doch
die Kaiserin 1612 eben in einer eigenen Sequenz gekrönt. Sicherlich war zu Beginn des
17. Jahrhunderts kaum präsent, dass dies durchaus (hoch-)mittelalterlichen Traditionen
entsprach, hatte doch, wie oben bereits angedeutet, im Spätmittelalter die gemeinsame
Krönung des königlichen Paares dominiert.
Das Pontificale Romanum enthält dabei drei Varianten des Ablaufs für eine Königin-
nenkrönung39: für den Fall, dass diese direkt im Anschluss an die Königskrönung statt-
fand, für den Fall einer eigenständigen Krönung für die Gemahlin eines Königs sowie den
der Krönung einer Königin aus eigenem Recht, also einer Erbtochter40. Für die Krönung
einer Kaiserin aber existiert keine direkte Anweisung – deren Unterscheidung von der
einer Königin wurde seit 1612 dadurch im Ritual abgebildet, dass man Elemente aus zwei
verschiedenen dieser Ordines verwendete. Dabei nutzte man für den größeren Teil der
Ritualsequenz Gebete, die im Pontificale für die Krönung einer Königin als Gemahlin des
Königs vorgesehen waren.
In dessen erstem (nach der Bitte des Gemahls um die Krönung) wurde um göttlichen
Segen und Stärkung der Fürstin gebetet, die nun zum herrscherlichen Beistand und zur
Königin ausersehen sei41. Direkt vor der Salbung folgte ein längeres Gebet des Konsekra-
tors, in dem um Verleihung von Weisheit und Frömmigkeit für die zu Krönende ebenso
gebetet wurde wie um deren Fruchtbarkeit (nach dem Vorbild von Sarah und Rebekka),
um Standhaftigkeit gegenüber dem Laster (wie Judith) und um Weisheit zur Regierung
(wie Esther). Göttliche Weisheit solle ihr zuteilwerden wie David und Salomon42, damit
sie Gerechtigkeit übe und die Religion liebe. Damit wurden neben den aus mittelalter-
licher Tradition bekannten alttestamentarischen Frauengestalten als Bezugspunkten auch
männliche Herrscher im Gebet als Vorbilder angeführt. Weitere kurze Weihegebete folg-
ten direkt bei der Salbung und bei der Übergabe der Insignien, also von Krone, Reichs-
apfel und Szepter.
Maxim[iliani] I et Caroli 5ti“, und der Kurfürst verlangte die Zusendung der Wahlakten Ru-
dolfs II.
39 Dessen Relevanz hat Harriet Rudolph in ihrer jüngsten Darstellung leider gänzlich übersehen. Sie
bezieht sich stets auf das ältere Pontificale aus dem Jahr 1520 bzw. den spätmittelalterlichen Ordo,
siehe etwa Rudolph, Krönung, 319, 326f., 329, 335f.
40 Pontificale Romanum 1595, 242–273 („Si vero Regina coronanda est, ut regni Domina, & absque
Rege …“).
41 Pontificale Romanum 1595, 244 („O remus, Omnipotens sempiterne Deus …“).
42 Dies bei Rudolph, Reich als Ereignis, 291, fälschlich ausgeschlossen.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427