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Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 301
Bei genauerer Betrachtung waren es aber wohl zwei andere Aspekte, die den Ausschlag für
Eleonora Magdalena gaben: Zum einen hatte die Witwe des gerade verstorbenen Kaisers
nach Wiener Zeremonialgewohnheiten ein Trauerjahr einzuhalten, während dessen sie öf-
fentlich überhaupt nicht in Erscheinung trat. Das hätte also in zeremonieller Hinsicht eine
Regentschaft Kaiserin Amalie Wilhelmines sehr erschwert.
Zum anderen und vor allem aber war die Legitimation der älteren Kaiserin-Witwe zwei-
fellos größer, handelte es sich bei ihr doch eben um die Mutter sowohl des verstorbenen
Kaisers wie des Erben. Mütterliche Liebe, die Verbundenheit von Mutter und Sohn spielte
bei der Legitimierung vormundschaftlicher Regentschaften stets eine große Rolle239, und sie
konnte leicht auch zur Rechtfertigung sowohl der Entscheidung der Räte wie des Agierens
der Regentin dienen, solange keine ausdrückliche Bestätigung der Entscheidung durch Karl
von Spanien vorlag. Hinzu kam, dass Eleonora Magdalena sowohl in Ungarn wie im Heili-
gen Römischen Reich gekrönt worden war; ein Faktum, dass bei den Verhandlungen in Un-
garn eine Rolle spielen sollte. Auf ihre Qualität als Mutter des Erben und auf ihre Krönung
in Ungarn wurde in legitimatorischer Absicht auch in der Berichterstattung in Zeitungen
und Chronikwerken Bezug genommen240. Amalie Wilhelmine dagegen hatte keine einzige
Krönung und Salbung empfangen, und zudem war sie „nur“ die Frau des Kaisers gewesen241.
Die Legitimität der Regentschaft wurde damit in erster Linie über die dynastische Posi-
tion der Fürstin hergestellt, ganz wie bei anderen Regentschaften. Die Rechte als Kaiserin
spielten keine Rolle, was insofern nicht verwundern kann, als die Regentschaft sich ja
eben auf die habsburgischen Erblande bezog und nicht auf das Reich. Allerdings führten
Medien in der Berichterstattung stets Eleonora Magdalenas Rang als verwitwete Kaiserin
239 Hartmann, Geschlechterordnung, 145f.; Puppel, Regentin, 87f.; Duindam, Dynasties, 89. Müt-
terliche Sorgfalt und Liebe wird auch bei Karl von Spanien angesprochen: HHStA, Staatenab-
teilungen, Spanien, Hofkorrespondenz 12, fol. 64r–65v, 11.06.1711, und Arneth, Eigenhändige
Correspondenz, 154. Den dezidierten Verweis auf sie als Mutter des Landesherrn und Regentin
findet man auch beispielsweise bei der Veröffentlichung eines Patentes gegen das Degentragen
von Handwerksgesellen (Wiennerisches Diarium 1711, Nr. 853, S. 1), sowie in einem Patent zur
Eindämmung einer Viehseuche (Theatrum Europaeum, Bd. 19, 550); siehe auch die in ihrer Kor-
respondenz mit Kurmainz gebrauchte Titulatur, z. B. HHStA, MEA WuK 36, fol. 98r–99v, 101r.
240 Der Titel als „gekrönte Königin zu Hungarn“ spielte in der öffentlichen Berichterstattung über
ihre Regentschaft immer wieder eine Rolle, siehe vor allem Fleisch, Kaiserinnen, 52–61. Für die
Ratifizierung des Vergleichs am 26.05.1711 verwies sogar das „Theatrum Europaeum“ (Bd. 19, 543)
ausdrücklich darauf, diese habe sie zu Recht vorgenommen als Mutter des aktuellen Königs von
Ungarn und als gekrönte Königin von Ungarn.
241 Der Wolfenbütteler Agent Rudolf Christian von Imhof berichtete allerdings aus Wien auch davon,
dass Amalie Wilhelmine wegen ihres engen Verhältnisses zu den Italienern am Hof nicht allzu
großes Vertrauen unter den kaiserlichen Amtsträgern genieße, siehe NLAW, 1 Alt 23, Nr. 396, fol.
91r–92v, 18.04.1711.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427