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324 Kaiserin und Reich: Schluss
in Hinblick auf die Gestaltung der Ritualfolge zentrale mittelalterliche Elemente aufgriff,
diese aber durch eine Verbindung mit vom päpstlichen Pontificale Romanum vorgege-
benen Aspekten und wechselnden zeremoniellen Anpassungen modifizierte. Insgesamt
dürfte die Kaiserinnenkrönung in der Neuzeit eher dem Bild einer „reinvention of tra-
dition“ entsprechen als dass sie ein „ursprüngliches“ Ritual der Sakralisierung von Herr-
schaft tradierte. Im zeitlichen Überblick lässt sich nicht zuletzt das Verhältnis von eher
statischen rituellen Elementen zu immer wieder vorgenommenen Adaptionen und An-
passungen für die Krönung der Kaiserin sehr deutlich erkennen.
Dabei verband diese eine gemeinsame Sakralisierung des Herrscherpaares mit der ritu-
ellen Umsetzung von Geschlechterdifferenz: Das Kaiserpaar wurde mittels der – freilich
teilweise getrennt vollzogenen – gemeinsamen Sakralisierung durch Segnung, Salbung und
Weihe als Gesalbte Gottes deutlich von der Menge der als Zuschauer Versammelten ab-
gehoben und zugleich (etwa durch die Thronsetzung) sichtbar aufeinander bezogen. Das
bib
lische Verständnis von Mann und Frau als einen Körper, das noch in der reichspublizis-
tischen Debatte des 17. Jahrhunderts eine Rolle gespielt hatte, wurde damit auf den Bereich
der Herrschaft übertragen – das einander ergänzende und einander beistehende Paar als
Vorbild für den „gemeinen Mann“ war performatives Element des Krönungsrituals. Ande-
rerseits bildete das Ritual aber eben die Geschlechterhierarchie innerhalb des herrschenden
Paares ab. In der Gegenüberstellung von „männlicher“ und „weiblicher“ Krönung, wie sie
hier skizziert wurde, zeigt sich deutlich, dass Krönungen eine weitere performative Ebene
beinhalteten, die Herrschafts- und Geschlechterordnung miteinander verband.
Dies gilt ebenfalls für eine spezifische Facette der Krönungen von Kaiserin bzw. Kö-
nigin: Fürstinnen und Gräfinnen des Reiches wurden in sichtbarer Weise eingebunden,
sowohl durch die Teilnahme am Krönungszug, durch ihre Anwesenheit in der Kirche wie
beim Krönungsmahl. Die Ritualsequenz lässt sich damit auch als rituelle Aufführung eines
Raumes weiblicher Herrschaftsteilhabe lesen, der performativ auf Frauen bezogen wurde,
obwohl dies selbstverständlich keine Exklusivität bedeutete. Dazu war die Kaiserinnen-
krönung zu eng in die allgemeine Logik der Reichsordnung eingebunden. Dies doku-
mentierten sowohl die Rolle der Kurfürsten als Mitgestalter der Krönung, die Konflikte
um eine Wahrung der Rechte von Erb- und Erzämtern im Ablauf wie die Umsetzung der
Ordnungen des Zutritts oder des Sitzens und Gehens. FĂĽr die Beteiligten sowohl aus dem
Reichskontext wie für die Amtsträgerinnen und Amtsträger des kaiserlichen Hofes blieb
die Krönung eine der Gelegenheiten, bei denen vor der Öffentlichkeit des Reiches Rang
und Stand dargestellt und hergestellt werden konnten – insofern war die Kaiserinnenkrö-
nung also immer auch Aufführung des Reiches und nicht nur eine höfische Inszenierung
von kaiserlichen Gnaden oder eine Chance zu kaiserlicher Herrschaftslegitimation. Bei
genauerer Betrachtung tritt deutlich zutage, dass in der Krönung der Kaiserin wie der des
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© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
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Buch Die Kaiserin - Reich, Ritual und Dynastie"
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Ăśberblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und KurfĂĽrsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Ăśberblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Ăśberlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- GruĂźbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- FĂĽrbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als FĂĽrsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die BegrĂĽndung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- AbkĂĽrzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427