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WIEN, 28. JÄNNER 1851 93
Eine Kritik der polit[ischen] Fragen von Toni Szécsen,47 mir von Richard48
zur Durchsicht zugesendet, hat mich beim ersten Lesen durch die scharfe,
klare Beweisführung und die schlagende Kritik so mancher Irrtümer jener
Broschüre wahrhaft überrascht. Wenn nicht brüderliche Liebe mein Urteil
sehr befangen macht, so halte ich diese Schrift für wahrhaft ausgezeichnet.
– Er schreibt, ich möchte sie nach der Durchsicht drucken lassen oder sonst
tun, was ich für passend erachte. Hier bin ich nun in einer eigentümlichen
Lage gegenüber Salm, der sich für Szécsens Buch ausgesprochen hat. Auch
scheint es mir bedenklich, in die sich bildenden Anfänge einer Partei einen
zersetzenden Stoff zu werfen. – Andrerseits darf das Licht nicht unter den
Scheffel gesetzt und der Wahrheit ihr Recht werden. Die Sache braucht dem-
nach Überlegung, und auch Hingenau mag ich sie jetzt nicht mitteilen.
Salms „Was sollen wir wollen“, in welchem der Kristallisationskern zu ei-
ner Parteibildung in geistvollen Zügen halb verhüllt wie eine Stimme aus
den Wolken, halb in überraschender Klarheit entworfen und geschaffen, ei-
nem entgegentritt, ward in Brünn nach einer Mitteilung Chlumeckýs49 in
80 Exemplaren verkauft.
vom böhmischen Hochadel unterstützt; vgl. höBelt, Die deutsche Presselandschaft, 1829f.
47 Anton Szécsen Graf von Temerin (1819–1896), bereits im ungarischen Parlament des Vor-
märz tätig, war Altkonservativer. In den Vordergrund trat er im verstärkten Reichsrat
1860. Auf ihn geht der später oft gebrauchte Ausdruck „historisch-politische Individua-
litäten“ zurück. Unter Gołuchowski und im nachfolgenden Kabinett Schmerling war er
Vertreter der Ungarn in der Regierung als Minister ohne Geschäftsbereich, musste jedoch
zurücktreten, sobald Ungarn sich mit den Zugeständnissen des Oktoberdiploms nicht zu-
frieden gab; ab 1866 MuMT. Von seinen politi
schen wie literarischen Publikationen spricht
Belcredi folgendes Werk an: Graf Anton szécsen, Politische Fragen der Gegenwart, Wien
1851. 1869 gab Szécsen in Berlin anonym die politische Schrift Oesterreichisches heraus.
Ferner gehören zu seinem publizistischen Schaffen Acht Essays, Wien 1879. 1878 Ritter
des Ordens vom Goldenen Vlies.
48 Richard Freiherr von Belcredi (1823–1902), Egberts Bruder, war 1848 Kreiskommissär in
Mähren, wurde im selben Jahr beurlaubt, zog sich ins Privatleben zurück und widmete
sich bis 1854 u. a. in Graz juristischen und historischen Studien. Kreishauptmann des
Znaimer Kreises in Mähren (1855–1861), Landespräsident von Schlesien (1861–1863),
Leiter der Statthalterei/Statthalter in Böhmen (1863/64–1865); MschLT (1861–1864),
MbLT (1864/65, 1871), MöAH (1861–1865), MöHH ab 1883. In der Funktion des österrei-
chisch-ungarischen Ministerpräsidenten (1865–1867) sistierte er das Februarpatent von
1861, das von den Ungarn nicht anerkannt worden war. Präsident des Verwaltungsgericht-
hofes (1881–1895). Walter Mertal, Graf Richard Belcredi (1823–1902). Ein Staatsmann
aus dem Österreich Kaiser Franz Josephs, phil. Diss. Wien 1963.
49 Peter Ritter von Chlumecký (1825–1863), Jurist, 1854 Statthaltereisekretär in Brünn,
MmLT (1861–1863). Seine aktive Teilnahme am mährischen Landtag ist bereits für 1848
belegbar. Er führte das ständische Zeitungsamt bis zu seiner Auflösung 1852, förderte die
historische Forschung und begründete 1850 die „Historisch-statistische Section der kai-
serlich königlich mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beförderung des Acker baues, der
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115