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1858
Lösch, 28. Jänner 1858
Sonst wenig Erfreuliches [aus Prag]. Alles deprimiert und hoffnungslos.
G[ra]f Karl Wolkenstein öfter gesehen. Die interessante Bekanntschaft Pro-
fessor Höflers305 und diesen mit meinem Schwager Jos[eph] Nostitz bekannt
gemacht. Dieser trägt das Unglück des Verlustes seiner geliebten Frau306
mit bewundernswerter Stärke, als ein wahrhafter Mann! Möglichst dahin
gewirkt, dass die Standesgenossen sich mit ernstern Dingen und Gesell-
schaften befassen. Mein Schwager lud deshalb Höfler zu Tische, um ihn we-
nigstens in die Herrengesellschaft zu bringen. Ich denke, es wird gehen, da
Höfler ein angenehmer Gesellschafter, kein Schulpedant ist.
Der Statthalter Lažanský hat, während ich weg war,307 die Herrschaft
Milleschau in Böhmen gekauft. Um sie zu bezahlen, hätte er seine Papiere
zu einem geringen Kurs, also mit Verlust, verkaufen oder ein Anlehen bei
der Nationalbank à 6 % machen müssen. Er zog es unbegreiflicherweise vor,
auf den Antrag Dr. Stellas308 einzugehen und 100 000 fl. von der Brünner
Sparkasse zu entlehnen, während gleichzeitig dieselbe Sparkasse Bürger,
welche ein kleines Darlehen auf ihre Häuser suchen, ein Darlehen, welches
bei der jetzigen Kreditnot sehr oft den Verfall ihres Vermögens aufhalten,
die Stellung ihrer Familien retten würde, abweist!
Sonst gab die Besetzung hoher Staatsämter durch Edelleute in der Re-
gel eine Garantie, dass sie ihre Stellung nicht zu gemeinen Zwecken und
schmutziger Privatvorteile wegen ausbeuten und missbrauchen würden.
Nun macht ein erbärmlicher Graf einen so elenden schmutzigen Streich,
für welchen seine bekannte Beschränktheit keinen Entschuldigungsgrund
bietet! So dumm ist er nicht, um diesen Missbrauch, diese bodenlose Ge-
meinheit nicht zu fühlen.
305 Karl Adolf Konstantin Ritter von Höfler (1811–1897), deutsch-katholischer Historiker,
wirkte als Redakteur und Universitätsprofessor in München, war Professor an der Uni-
versität in Prag (1851–1882), als MbLT (1865–1869) war er dem konservativen Flügel der
Deutschliberalen zuzuordnen; ab 1872 MöHH. Als Historiker trat er insbesondere gegen
Palackýs Auffassung des Hussitentums auf.
306 Ernestine von Nostitz-Rokitnitz (1829–1857), geb. Waldstein-Wartenberg, verstarb am
2. November 1857.
307 Belcredi war vom 17. Dezember 1857 bis 17. Jänner 1858 in Prag.
308 Joseph Georg Ritter von Stella (1804–1860), mährisch Rechtsanwalt; MmLT (1848), stand
der Brünner Innenstadt vor (1848–1860), war Brünner Gemeindeausschussmitglied (1851–
1860) und Direktor der Ersten Mährischen Sparkasse (1852–1860).
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115