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I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche
2. Die zwei Realitäten der Bürokratie
„Nur halb zu wissen ist, man weiß, bedenklich,
Doch wer die eine Hälfte kennt von einem Ganzen,
Das innig ist und eins, kennt auch die zweite.
(Grillparzer)
Mein „Gespür“ für bürokratische Themen und Probleme beruht auf dem Le-
sen und der Durchsicht von im Laufe der Jahre wohl Tausenden Akten in den
Archiven der ehemaligen Monarchie. Diese Akten wurden von Beamten produ-
ziert, die manchmal durch Unterschriften oder Paraphierungen identifizierbar
sind, sehr oft bleiben sie aber auch anonym. Auch die meisten „Konzeptsbe-
amten“, in der österreichischen Amtssprache höhere Beamte, die „konzeptiv“
zu wirken und im Allgemeinen eine juristische Universitätsausbildung hatten,
treten selten greifbar in Erscheinung. Gewichtigere Angelegenheiten, manchmal
auch banale, wurden von mehreren Beamten verschiedener Abteilungen und
Sektionen nach Konzepten, Vorlagen oder nach Diktat verfasst und mit Korrek-
turen versehen. Es bleibt zumeist verrätselt, welche Teile von wie vielen und von
welchen Beamten sie stammen. Manchmal sind – allerdings selten beweisbare
– Einflüsse und Hintergründe zu vermuten. Dieses Phänomen des Anonymen
und Nichtgreifbaren zeigt uns das Geheimnis der Bürokratie, enthüllt zugleich
Sinn und Widersinn. Sinn, weil die Verantwortung für Aufgaben, die im Auf-
trag des Staates über die Bühne gehen, „sachrational“ und hierarchisch geteilt
und damit kontrolliert werden, Widersinn, weil Unverantwortlichkeit produ-
ziert wird. Die letzte Entscheidung für die Schreibtischtaten war (und ist) sehr
oft nicht feststellbar, obwohl die Letztverantwortung formal der Chef der Abtei-
lung des Amtes, der Sektion, in wichtigen Fällen der politische Funktionsträger
(in den meisten Fällen der Minister, heute auch die Ministerin) trug (und trägt).
Aber auch heute ist die Verantwortlichkeit, wie wir leidvoll erfahren, oftmals
nicht ersichtlich. So ist es erst recht in historischen Zusammenhängen nur in
Ausnahmefällen möglich, der einzelnen Entscheidungsträger habhaft zu werden.
Gesetze und Verordnungen werden ebenfalls oft von Beamten produziert. Bei
diesen ist es eindeutiger zu beurteilen, woher der politische Wind weht. Doch
auch hier gilt, dass die verschiedenen Einflüsse nur in seltenen Fällen eindeutig
zugeordnet werden können. Archivbestände, die die vielversprechende Bezeich-
nung „Beamte, Verwaltung“ etc. tragen, erwiesen sich bei Durchsicht als nicht
sehr ergiebig, um weiterführende Aussagen zu machen. Daher sei hier noch ein-
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277