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6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus
6. Traditionelle Karrieremuster gegen
politischen Protektionismus
„[…] die kalt berechnenden Menschen haben im Leben nur halb so viel Erfolg wie die richtig
gemischten Gemüter, die für Menschen und Verhältnisse, die ihnen Vorteil bringen, wirklich
tief zu empfinden vermögen.“
(Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften)
Die eben besprochenen nationalen und parteipolitischen Ansprüche standen in
krassem Gegensatz zu den althergebrachten Laufbahnen der österreichischen Be-
amten. Es hatte selbstverständlich auch vorher Protektion gegeben, die sich aus
den Quellen adeliger oder bürgerlicher (Beamten-)Familien speiste, doch das her-
kömmliche Muster geriet durch die neuen Formen von „Förderungen“ ins Wan-
ken.
Das traditionelle Modell für eine typische Karriere in der höheren Beamten-
hie
rarchie war darauf angelegt, die Beamten mit möglichst vielen Regionen,
nationalen Gruppen, Sprachen, Kulturen, Mentalitäten und Religionen der
weitläufigen Monarchie vertraut zu machen. Ob junge Staatsdiener aus ade
ligen
oder bürgerlichen bzw. bäuerlichen Häusern kamen, war für dieses Muster
grundsätzlich nicht ausschlaggebend. Die meisten jungen Juristen begannen als
Praktikanten in einer Zentralstelle oder in einer Statthalterei und wurden von
hier hinaus in die verschiedenen Behörden der so unterschiedlichen Kron
länder
geschickt. So führte die Karriere des Grafen Franz Seraph Stadion (1806–1853),
Minister für Inneres von 1848 bis 1849, ihn am Beginn seiner Laufbahn als
Konzeptspraktikant in die niederösterreichische Landesregierung in Wien, als
unbesoldeter Beamter in das Gubernium (Statthalterei) nach Lemberg (L’viv)
und in die Kreisämter in Stanislau und Rzeszow in Galizien. Es folgten die
Stationen als (noch immer unbesoldeter) Gubernialsekretär (Statthalterei-
sekretär) in Innsbruck, als (endlich besoldeter) Hofsekretär bei der Hofkam-
mer (später Finanzministerium) in Wien. Er wurde sehr bald Gouverneur des
Küstenlandes in Triest, anschließend Gouverneur von Galizien in Lemberg, von
wo er 1848 als Minister nach Wien berufen wurde. In der Position als unbe-
soldeter Beamter sieben Jahre lang auszuharren, konnte sich ein Graf Stadion
leisten, anderen, weniger vermögenden Beamten war dieser Luxus nicht ge-
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277