Page - 221 - in Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
Image of the Page - 221 -
Text of the Page - 221 -
221
4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
Die „gut-bürgerliche“ Gesellschaft – Private Netzwerke
Um das damalige gesellschaftliche Image der Beamten ranken sich Mythen, die ei-
nander oft widersprechen. Auf der einen Seite werden die Bürokraten als wesent-
licher Bestandteil des Bildungsbürgertums geschildert, kultiviert, die bürgerlichen
Werte lebend,424 bewundert und respektiert. Andererseits kann in den zeitgenössi-
schen Erzählungen nicht genug betont werden, in welch ärmlichen Verhältnissen
auch höhere Beamte lebten, und die sprichwörtliche Bescheidenheit der Staats-
diener ist ein Topos in der zeitgenössischen Erinnerungs- und Romanliteratur.
Otto Friedländer ist ein Anhänger der Armutstheorie. Es wäre eine Art „Mönchs-
gelübde“ gewesen, berichtet er, das dem österreichischen Beamten bei Eintritt in
den Staatsdienst abverlangt wurde: „Armut und Gehorsam, Verzicht auf vielerlei
weltliche Eitelkeit und bei vielen kommt dann auch noch die Keuschheit von
selber dazu“, so Friedländer. „Wer ein so ernster, entsagungsvoller Arbeiter ist,
der hat meistens auch für sinnliche Genüsse nicht viel übrig. Viele hohe Beamte
sind Junggesellen.“425 Friedrich Kleinwaechter überliefert uns dagegen von den
höheren (jüngeren) Beamten um die Jahrhundertwende ganz andere Impressio-
nen. Er kennt unter seinen Wiener Kollegen zwei grundverschiedene Typen, den
„kultivierten Gentleman“, den „Salonmenschen“ (zu dem er sich offensichtlich
selbst rechnete), mit guten Manieren und Bildung ausgestattet, gut angezogen,
gepflegt, sportlich, ein guter Gesellschafter und Tänzer. Er setzt diesen Gentleman
in krassen Gegensatz zum „gelehrten Beamten“, der für ihn das Gegenteil von ei-
nem „Salonmenschen“ verkörpert, einen unsportlichen, ungehobelten Menschen,
der in den Witzblättern „mit langem Bart und Schraubenhosen“ (was immer das
sein mochte) figurierte und in der Verwaltung auf Hindernisse stieß, die er sich
durch schlechte Manieren selbst geschaffen hatte. Der Salonmensch dagegen, so
Kleinwaechter, „segelte um die gefährlichsten Klippen herum“, was selbstver-
424 Über die nicht einfach zu definierenden Kriterien zu Bürgertum und Bürgerlichkeit in Öster-
reich siehe ERNST BRUCKMÜLLER, Sozialgeschichte Österreichs (Wien/München 22001),
S. 233; ERNST BRUCKMÜLLER, Wiener Bürger. Selbstverständnis und Kultur des Wiener
Bürgertums vom Vormärz bis zum Ende des Fin de Siècle. In: „Durch Arbeit, Besitz, Wissen
und Gerechtigkeit“, hg. von Hannes Stekl, Peter Urbanitsch, Ernst Bruckmüller, Hans Heiss
(= Bürgertum in der Habsburgermonarchie II, Wien/Köln/Weimar 1992), S. 43–68; auch OLI-
VER KÜHSCHELM, Das Bürgertum in Cisleithanien. In: Die Habsburgermonarchie 1848–
1918, IX: Soziale Strukturen, 1. Teil: Von der feudal-agrarischen zur bürgerlich-industriellen Ge-
sellschaft, Teilband 2: Von der Stände- zur Klassengesellschaft, hg. von Helmut Rumpler und
Peter Urbanitsch (Wien 2010) , S. 850–861.
425 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 69 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277