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7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung
national erregten Ländern, in denen es am nötigsten wäre. Der Beamte fängt an
Partei zu werden und hört auf, der objektive Richter und Schlichter zu sein.“140
Eine Interpretation Friedländers post festum, nachdem er die späteren Ereignisse
kannte? Der Erste Weltkrieg machte einer solchen Entwicklung der bürokrati-
schen Eliten, wie sie Friedländer sah, ein Ende.
7. Soziale Privilegierung und dienstliche
Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen
und sozialen Verhältnissen 1873–1914
„Und wenn man als Beamter arm ist, muß man sich nicht genieren,
denn Armut ist für den Beamten nur ehrenvoll.“
(Otto Friedländer, Letzter Glanz der Märchenstadt)
Die ökonomische Lage der Beamten, die in den 1850er-Jahren bereits prekär ge-
wesen war,141 hatte sich im Laufe der 1860er-Jahre durch den deutlichen Anstieg
der Lebenshaltungskosten dramatisch verschlechtert.142 Die niedrigsten Gehälter
standen noch immer um 315 Gulden (wie ungefähr zu Beginn des Jahrhunderts),143
nur lag die Kaufkraft ungemein niedriger. Für das Jahr 1874 beliefen sich die Le-
benshaltungskosten eines alleinstehenden Beamten den Angaben der Beamten-
zeitung „Sprechsaal“ zufolge auf 976,60 Gulden, die einer Durchschnittsfamilie
(mit 3 Kindern und einem Dienstmädchen) auf 2.133,07 Gulden,144 ein Betrag,
der dem Gehalt eines bereits ranghöheren Beamten entsprach. Diesem Befund
zufolge war es für einen jungen Beamten ohne die Mitgift einer Ehefrau nahezu
unmöglich, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Auch wenn die Angaben
der Lebenshaltungskosten etwas übertrieben sein mochten und die Zulagen, die
durchaus beträchtlich sein konnten, bei den Beamtengehältern hier nicht einge-
rechnet wurden, war die finanziell angespannte Lage der Beamtenschaft Realität
und erforderte entsprechendes Handeln. 1865 wurden tatsächlich die Gehälter ei-
niger Beamtenkategorien ein wenig erhöht, im Dezember 1867 die Beamten der
140 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 77–79.
141 Siehe Kapitel „Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867“.
142 Dazu MEGNER, Beamte, S. 95–108.
143 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 178 und 186.
144 Zit. bei MEGNER, Beamte, S. 95. In diesem Haushaltsbudget sind die Ausgaben für Wein,
Ballbesuche, Heilmittel, Ärzte und Landpartien sowie Urlaube noch nicht enthalten.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277