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V. Das soziale Umfeld
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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
Auch kulturelle Güter unterliegen einer Ökonomie, doch verfügt diese über eine eigene Logik.
(Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede)
Amtsroutine im Privatleben?
Gemäß der arbeitsteiligen Doktrin des 19. Jahrhunderts waren Amts- und Privat-
leben streng voneinander getrennt. Dazu gehörten selbstverständlich die Separierung
der amtlichen und privaten Finanzgeschäfte sowie die von Wohnung und Amt. Für
Max Weber war diese Trennung von Amts- und Privatleben eines der wichtigsten
Merkmale einer modernen Bürokratie.345 Die Zeit, in der Hofräte in ihren Woh-
nungen, die ihnen als Dienstwohnungen zugeteilt waren, „Amt gehalten“, das heißt
Akten und Parteienverkehr erledigt hatten, war gar nicht so lang her. Joseph II. erst
drängte auf die strikte Aufteilung, und gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren solche
Vermischungen verpönt. Das heißt aber nicht, dass Beamte selbst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht auch noch in den Genuss der beliebten Dienst-
wohnungen kommen konnten,346 allerdings nicht mehr, um dort zu amtieren.
In der Realität des Lebens war jedoch Privates und Dienstliches wie auch heute
eng miteinander verbunden. Das Privatleben hing einerseits stark von den beruf-
lichen Implikationen wie Einkommen, soziales Ansehen und Prestige ab, anderer-
seits färbten der Status im Amt und die mit ihm verbundenen Verhaltensformen,
ethischen Anschauungen und Tugenden wesentlich das Privatleben.
So forderte das Beamtenethos im Amtsleben Pünktlichkeit, Genauigkeit, die
strikte Einhaltung von Kompetenzen, Fleiß, Respekt vor der Hierarchie im All-
gemeinen und dem jeweiligen Vorgesetzten im Besonderen, zu allererst Loyalität
gegenüber Kaiser und Staat. Dies kann auf eine empfindliche Beamtenseele nicht
ohne nachhaltigen Einfluss geblieben sein, und so wirkte das Denken in gesicher-
ten Zeitabläufen, vorhersehbaren Karrieren in so manchen Beamtenfamilien wei-
ter und die amtliche Routine sowie die Beamtentugenden spiegeln sich häufig im
Privatleben der Beamten wieder. Die Mittelschullehrerin für Geschichte Ludmila
Matiegková (geboren 1889) schildert den Haushalt ihres Großvaters (geboren um
1830), der aus einer alten tschechischen Beamtendynastie stammte und selbst die
345 Siehe HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 351 f.
346 Siehe Kapitel „Bürgerlicher Lebensstandard“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277