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228 | Kommunen im Klimawandel
Zwar gab es in den beiden von mir erforschten Fallbeispielen gelungene Fälle von
gezielter Maßnahmenkopie12, dies stellt jedoch eher die Ausnahme als die Regel dar.
Anstatt wie von politischen Gestaltern, Beratern und auch Wissenschaftlern erwartet,
werden Best Practices nicht hauptsächlich zur Kopie oder Anpassung erfolgreicher
Beispiele – als Blaupause – genutzt, sondern, wie ich durch die Analyse der Haupt-
funktionen gezeigt habe, vornehmlich für andere Zwecke – wie die Mobilisierung
von Stakeholdern, zur Legitimation von Entscheidungen, zu Dokumentationszwe-
cken, zum Stadtmarketing oder zum Lobbying – eingesetzt.
Diese Erkenntnis ist deshalb so wichtig, weil dadurch klar wird, dass Best Prac-
tices im Gegensatz zur Rationalität des Prinzips der Nachahmung die Transformation
zur klimaneutralen Gesellschaft kaum durch Nachahmung beschleunigen und damit
nicht zu einem Wandel in Politik, Infrastruktur, Wirtschaft und Verhalten anregen
können, da der Großteil der Best Practice-Beispiele immobil bleibt – weshalb sie von
anderen Wissenschaftlern auch als „sticky“ oder „place-bound“ (Bulkeley 2006;
Webber 2015; Szulanski 1996) bezeichnet werden. Praktische Gründe für die Immo-
bilität von Best Practice-Beispielen liegen insbesondere in den unterschiedlichen In-
teressen von Best Practice-Produzenten und -Konsumenten. Die Hauptakteure in der
Best Practice-Identifikation, -Aufbereitung und -Verbreitung – Forschungsinstitute,
Ministerien, Beratungsunternehmen und TMNs – sind überwiegend an allgemein an-
wendbarem, objektivem Wissen, aus welchem evtl. übergeordnete Prinzipien ableit-
bar sind, interessiert. Dieses dekontextualisierte und „ortlose“ Wissen, so die An-
nahme, sei dann einfacher in andere Kontexte und Lokationen zu transferieren.
„There is a need for analyses making sense of the disparate actions. It’s about maybe creating
some kind of collective intelligence. You have one action plus one action plus one action but it
doesn’t necessarily make sense if you just keep them like disparate actions. […] it’s also some-
how making synthesis of several alone standing measures and derive a principle out of it.“ (IN-
3, 2016: 48)
12 Ein Beispiel für einen erfolgreichen Übertrag ist die Stromfresser-Kampagne der Stadt
Rheine (entwickelt 2009), die vom LK Marburg-Biedenkopf aufgegriffen und weiterent-
wickelt wurde und dann auch von der Gemeinde Enkenbach-Alsenborn übernommen
wurde. Im Rahmen der Kampagne wird in den privaten Haushalten der Kommune nach
den ältesten Elektrogeräten gesucht (z.B. Kühlschrank, Waschmaschine, Staubsauger etc.).
Der Besitzer des ältesten Geräts gewinnt dann ein neues, energieeffizientes Gerät. Die Idee
hat sich mittlerweile deutschlandweit verbreitet und wurde von vielen Kommunen nachge-
ahmt.
Kommunen im Klimawandel
Best Practices als Chance zur grünen Transformation?
- Title
- Kommunen im Klimawandel
- Subtitle
- Best Practices als Chance zur grünen Transformation?
- Author
- Nanja Nagorny-Koring
- Publisher
- transcript Verlag
- Location
- Bielefeld
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4627-0
- Size
- 15.4 x 23.0 cm
- Pages
- 324
- Categories
- Naturwissenschaften Umwelt und Klima
Table of contents
- Danksagung 9
- Das Prinzip der Nachahmung 11
- Forschungslücke und Fragestellung 16
- Aufbau der Arbeit 21
- Kommunen im Klimawandel 25
- Problematisierung: Vom Phänomen zum Problem 27
- Klimawandel als Politikproblem 32
- Klimawandel als kommunales Aufgabenfeld 38
- Klimapolitik als Multi-Level-Governance-Problem 48
- Die Stadt als Ursache, Betroffene und Lösung für das Klimaproblem 54
- Klimawandel als ökonomisches Problem 61
- Klimawandel als Problem kommunaler Praxis 65
- Den guten Praktiken auf der Spur 71
- Begriffsgeschichte und Definition 73
- Kritik und Positionalität 78
- Best Practice-Forschung 82
- Projektdesign 90
- Die Kunst, den Klimawandel zu regieren 115
- Gouvernementalität 116
- Klima-Gouvernementalität 126
- Das Praxisregime „kommunaler Klimaschutz“ 132
- New Public Climate Management 141
- Politische Rationalitäten 142
- Klima\Wandel ist regierbar 145
- Politische Programme 162
- Die Regierungsrationalität des Klimaschutzmanagements (1): Vom Projekt zum Prinzip 172
- Die Regierungsrationalität des Klimaschutzmanagements (2): Das Rad nicht neu erfinden 179
- Implikationen einer besonderen Form des Klimaschutzes 186
- Best Climate Practices 189
- Rationalitäten und Technologien 191
- „Mit Ideen und Beispielen zum Erfolg“!? 194
- „Gebt uns gute Beispiele!“ 215
- Reflexion 227
- „Best Practice ist eine Geschichte“ 235
- Zur Performativität von Best Practices 239
- Zum transformativen Potenzial von Best Practices 249
- Fazit: „Klimaschutz leicht gemacht – von Erfolgsbeispielen lernen“? 260
- Literatur 275
- Anhang 315