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34 Akteure in Agrarsystemen
des Einzelfalls hinausreichende relationale Betrachtung der Gesamtheit der Fälle.
Drittens geht der Fall nicht in Aggregaten höherer Ordnung auf, sondern bleibt
erhalten, was transversale Verbindungen jenseits der Mikro-Makro-Dichotomie
zulässt.152
Im zweiten Schritt werden Gruppen einander ähnlicher Fälle bestimmt und für
sich ausgewertet. Dies erfolgt wiederum mit einfachen oder komplexen Methoden,
etwa der Clusteranalyse aus dem Arsenal der Geometrischen Datenanalyse oder,
bei Vorliegen geeigneter Quellen, der Sozialen Netzwerkanalyse.153 Zur Darstel-
lung von Agrarsystemen dient eine eigens für die Studie entwickelte Bildstatistik,
die innere und äußere Beziehungen der Systemelemente sichtbar macht. Vier ein-
ander berührende Quadrate mit einem gemeinsamen Eckpunkt stehen für den Ar-
beitskräftebesatz, gemessen in Arbeitskrafteinheiten (AKE),154 die Bodennutzung,
gemessen in Hektar,155 den Viehstand, gemessen in Großvieheinheiten (GVE),156
und den Maschinen- und Gerätebestand, gemessen in Geldeinheiten.157 Alle Grö-
ßen, seien es AKE, Hektar, GVE oder Geldeinheiten, werden durch den Flächen-
inhalt des jeweiligen Rechtecks abgebildet. Inputs und Outputs des Agrarsystems
werden, sofern entsprechende Daten vorliegen, in Geld bemessen und durch die
Breite des jeweiligen Pfeils dargestellt.
Während die bisher erwähnten Methoden die Breite der Fälle einer Gruppe
erfassen, geht der dritte Auswertungsschritt an ausgewählten Fällen in die Tiefe.
Mittels Fallrekonstruktion158 auf der Basis text- und bildhermeneutischer Verfah-
ren159 werden Akteure in ihren materiellen, sozialen und symbolischen Bezügen
erfassbar. Die Auswahl folgt entweder der Repräsentativität eines Falles für eine
größere Gruppe oder dem mikrohistorischen Prinzip des „außergewöhnlich Nor-
malen“ (eccezionalemente normale), das aus oft außergewöhnlich erscheinenden
Fällen Aspekte der zeit- und raumbezogenen Normalität zu erschließen sucht. Es
entspringt der „Kritik an einer unreflektierten und uneingeschränkten Akzeptanz
statistischer Relevanz-, Signifikanz- und Repräsentativitätskriterien“ in der histo-
rischen Forschung.160 Um die Anonymität der Akteure zu wahren, wurden in der
Regel anstatt der Klarnamen Pseudonyme verwendet ; Ausnahmen bilden Perso-
nen des öffentlichen Lebens, die etwa in der Presse genannt wurden.
Schließlich werden im vierten Schritt die Fallgruppen- und Einzelfallrekon-
struktionen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden verglichen. Solche Ver-
gleiche können synchron, nach Raumabschnitten, oder diachron, nach Zeitab-
schnitten, erfolgen. Jedenfalls erfordern sie einen Vergleichsmaßstab, ein tertium
comparationis, das als Drittes neben die beiden Vergleichsgegenstände tritt.161 Im
Vergleich besonderer Fallgruppen und Einzelfälle werden deren Positionen und
Beziehungen im jeweiligen Kräftefeld des Agrarsystems deutlich ; auf diese Weise
können allgemeine Erkenntnisse gewonnen werden.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937