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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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41Die Konstruktion des „Hoforganismus“ politischen Maßnahmen zur Steuerung des „Arbeitseinsatzes“ propagierte das Reichskuratorium für Technik in der Landwirtschaft „als eines der wirksamsten Mittel die Rationalisierung des bäuerlichen Betriebes mit dem Ziel, das Einkom- men und damit die gesamte Lebenshaltung des Bauern und seiner Hilfskräfte dem der Stadtbevölkerung anzunähern“. Diese Rationalisierung dürfe jedoch „keines- falls einseitig einzelne Betriebszweige fördern, ohne den Zusammenhang mit dem übrigen Betrieb zu berücksichtigen“ ; notwendig sei vielmehr der „planmäßige Aufbau des Betriebes, der alle Einzelfaktoren berücksichtigt“. Die Lösung die- ses komplexen Problems setzte genaue Informationen voraus ; oder, um im Bild zu bleiben, die Therapie des „Landflucht“-Syndroms erforderte eine präzise Diag- nose : die „genaue Kenntnis des gesamtes Betriebes und der persönlichen Fähigkei- ten des Bauern und seiner Familie“.29 Dies führt uns zur politisch-ökonomischen Funktion der Agrarstatistik im „Dritten Reich“. Die amtliche Agrarstatistik entstand, wie die Wirtschaftsstatis- tik insgesamt, im 19. Jahrhundert als Vermittlerin zwischen dem bürokratischen Nationalstaat und einer Zivilgesellschaft, in der die Bürger ihre Wirtschaftsinte- ressen verfolgten. Entsprechend ihrem zunächst liberalen Leitbild versuchte die amtliche Wirtschaftsstatistik, etwa über das Statistikgeheimnis, das Gleichgewicht zwischen öffentlichem Verwaltungsinteresse und bürgerlicher Privatsphäre zu hal- ten. Dieses Verhältnis geriet seit Beginn des 20. Jahrhunderts in eine Schieflage, als sich der Staat nicht mehr einzelnen Bürgern, sondern organisierten Verbänden von Unternehmern und Arbeiterschaft auf derselben Augenhöhe gegenüber sah. Die Wirtschaftsstatistik wurde von einer Wissenschaft mit Autonomieanspruch mehr und mehr zu einem Instrument staatlicher Wirtschaftssteuerung  – eine Entwick- lung, die in der „totalen“ Planung der Volkswirtschaft im „Dritten Reich“ ins Ex- trem getrieben wurde.30 Auch die Agrarstatistik, so ein Vertreter des Statistischen Reichsamts, trat „von der mehr akademischen Stellung von einst in den Vorder- grund der verwaltungsmäßigen und wirtschaftlichen Erwägungen“.31 Vor diesem Hintergrund wurde die amtliche Agrarstatistik  – die Erhebungen von Bodennut- zung und Viehwirtschaft sowie die landwirtschaftlichen Betriebszählungen  – seit 1933 hinsichtlich Erhebungszeiten, -räumen und -themen ausgeweitet. Zudem erfuhr die landwirtschaftliche Buchführungsstatistik einen Ausbau ; 1939 waren im Deutschen Reich etwa 50.000 Betriebe, rund 1,4 Prozent aller Betriebe, durch die landwirtschaftlichen Buchstellen erfasst.32 Dennoch genügten die Mittel der traditionellen Agrarstatistik nicht den neuen Zielen und Zwecken. Die „totale“ Wirtschaftsplanung des NS-Staats erforderte, den Agrarsektor als Planungsgegenstand anders als bisher zu denken : Nicht bloß die Summe der einzelnen Teile, sondern das Ganze galt es zu erfassen.33 Um diese betriebliche Ganzheit zu konstruieren, bediente sich die Agrarstatistik einer Me-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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