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105Im
Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens
jener Abgesandten aus dem Stabsamt des Reichsbauernführers mir eines Tages
voll Verachtung sagte : ‚Das sind ja alles gar keine Bauern !’“150 Zweifellos sucht
sich der ehemalige Spitzenbeamte in seinen Memoiren als Pragmatiker der Agrar-
verwaltung im Kontrast zu den Ideologen des Reichsnährstandes zu inszenieren.
Darüber hinaus lässt seine Schilderung aber auch eine amtsoffizielle Rangordnung
erkennen : Wenn die ‚Bäuerlichkeit‘ der Weinbau treibenden Familien – in linker
unterer Richtung
– zweifelhaft war, galten die Ackerbau und Viehzucht treibenden
Großbetriebe – in rechter oberer Richtung – als ‚echte Bauern‘. Folglich zeigt der
Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens einen dominanten und einen domi-
nierten Pol : Größere, mit hohem Kapitaleinsatz wirtschaftende Mischwirtschaf-
ten erhielten amtsoffiziell mehr Anerkennung zugesprochen als kleinere Weinbau-
und sonstige Marktfruchtbetriebe, auf denen sich vor allem Familienangehörige
tummelten. Kurz, das Feld der Häusler- und Bauernwirtschaft war nicht eben be-
schaffen, sondern wies ein erhebliches (Macht-)Gefälle auf.
Um die Agrarsysteme und die Wirtschaftsstile ihrer Akteure zu bestimmen,
werden die 1.552 Höfe entsprechend ihrer Lagebeziehungen im Raum des (unter-)
bäuerlichen Wirtschaftens zu zehn gleichartigen Gruppen zusammengefasst. Im
Vergleich der Merkmalsprofile lassen sich diese Gruppen genauer charakterisie-
ren und entsprechend herausragender Eigenschaften benennen (Abbildungen 2.20
und 2.21). Die Gesamtheit der 1.552 Höfe in den Regionen Litschau, Mank und
Matzen verteilt sich auf 99 Zuckerrübenbauern, 160 Maschinenmänner, 182 Misch-
wirtschafter, 171 Ochsenbauern, 170 Gewerbebauern, 237 Arbeiterbauernfamilien,
196 Nebenerwerbsbauernfamilien, 67 Weinhauerfamilien, 164 Kleinbauernfamilien
und 106 Ackerbäuerinnen. Zusammen beschreiben diese Gruppen ein Spektrum
von Agrarsystemen und korrespondierenden Wirtschaftsstilen, die unterschiedlich
gefärbt sind : manche – etwa die Zuckerrübenbauern – durch die Bodennutzung,
manche – wie die Ochsenbauern – durch die Viehhaltung, manche – wie die Acker-
bäuerinnen – durch das Geschlecht der Betriebsleiter/-innen, manche – wie die
Maschinenmänner – durch das Intensitätsprofil, manche – wie die Arbeiterbauern-
familien – durch den außerlandwirtschaftlichen Erwerb und das Haushaltsprofil.
Freilich, die Höfe lassen sich nicht dermaßen scharf voneinander trennen ; an den
Rändern der Gruppierungen verschwimmen die Unterschiede. Es macht daher
wenig Sinn, wiederum – wie in der amtlichen Agrarstatistik – abstrakte Durch-
schnittsbetriebe zu berechnen ; sinnvoller ist es, konkrete Höfe inmitten der jewei-
ligen Gruppe zu vergleichen (Abbildung 2.22, Anhang).151
Beginnen wir den Gang durch den Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaf-
tens bei den Zuckerrübenbauern. Einer von ihnen war Martin Holzer, der gemein-
sam mit seiner Frau
– typisch für Gemeindezugehörigkeit, Kulturflächengröße und
Betriebstyp dieser Position
– in Auersthal eine 22,1 Hektar große Getreide-Wein-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937