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115Im
Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens
milien verfügten Kleinbauernfamilien oft – wie in diesem Fall – über ein Paar Ar-
beitskühe oder sogar einen Ochsen ; daher waren sie seltener auf wechselseitige
Arbeitsbeziehungen mit Pferde besitzenden Bauern angewiesen.163
Der Gang durch den Raum der Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile endet
mit den Ackerbäuerinnen – einer Position, die sich durch die überdurchschnittlich
häufige Betriebsleitung durch Frauen von den übrigen abhob. Ihr Merkmalspro-
fil vereinte darüber hinaus Getreide-Weinbauwirtschaft, Lage in Auersthal oder
Raggendorf, klein- und mittelbetrieblicher Zuschnitt mit zwei bis zehn Hektar,
ausgeglichene Zusammensetzung der Arbeitskräfte, verminderte Vieh- und er-
höhte Maschinenintensität, Landwirtschaft als Haupterwerb, Zupacht von Par-
zellen, Haltung eines Zugpferdes und einiger Kühe, teilweise Mechanisierung,
etwa mittels Elektromotoren, Häcksel- und Dreschmaschinen. Es ist schwierig,
die Ackerbäuerinnen namentlich in den Hofkarten zu finden ; denn vielfach wurde
auch dann, wenn in der Arbeitskräftetabelle eine Frau als Betriebsleiterin angege-
ben war, in der Kopfzeile der Name des Ehemannes genannt. Diese Vorgangsweise
mochte im Fall der vorübergehenden Abwesenheit des Betriebsleiters, etwa wegen
Einrückung zur Wehrmacht, pragmatisch begründet sein ; sie beruhte vielleicht
aber auch auf der grundsätzlichen Ansicht des Erhebungsorgans, dass der Mann
die Betriebsleitung wenn schon nicht faktisch, dann zumindest nominell inneha-
ben solle. Wie auch immer, eine Frau als Betriebsleiterin erschienen aus offizieller
Sicht als Ausnahme von der Regel des männlichen „Betriebsführers“.164 Eine der
Ackerbäuerinnen war die Frau des zur Wehrmacht eingerückten Raimund Eder, die
in Raggendorf eine Weinbauwirtschaft im Ausmaß von 3,1 Hektar bewirtschaf-
tete. Davon waren 2,2 Hektar Ackerland und 0,8 Hektar Weingarten. An Getreide,
das etwas weniger als die Hälfte der Äcker einnahm, wurden vor allem Roggen,
daneben auch Gerste, Hafer und Körnermais angebaut ; gut die Hälfte der Äcker
verteilten sich auf Kartoffeln und Futterrüben sowie Futterpflanzen. Die Besitzerin
beschäftigte eine Magd sowie eine Taglöhnerin und einen Taglöhner, die zusam-
men 30 Arbeitstage im Jahr leisteten. Damit verfügte der Betrieb über 2,1 AKE,
die sich aus einem unterdurchschnittlichen Familien-, einem überdurchschnittli-
chen Gesinde- und einem durchschnittlichen Taglöhneranteil zusammensetzten.
Der Viehstand entsprach 1,1 GVE ; er umfasste eine Milchkuh, eine Ziege und ein
Dutzend Hühner. Maschinen waren laut Hofkarte nicht vorhanden. Mit 0,7 AKE
pro Hektar erreichte der Betrieb eine durchschnittliche Arbeitsintensität ; jedoch
lag die Viehintensität mit und 0,4 GVE pro Hektar unter dem Durchschnitt. Zu-
sammen mit dem Kind, das im Haushalt versorgt wurde, betrug der V/A-Quotient
1,7 Personen, was dem Durchschnitt entsprach. Außer dem Weinverkauf hatte
die Besitzerin kaum Geldeinnahmen. Obwohl in der Hofkarte nicht vermerkt, ist
anzunehmen, dass sie sich neben der Bewirtschaftung des eigenen Anwesens als
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937