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139Durchleuchtete
Höfe
fältig ab, ob ein außerlandwirtschaftliches Nebengewerbe mit der Landwirtschaft
vereinbar war oder damit konkurrierte, wie die nachträgliche Streichung eines ent-
sprechenden Vermerks zeigt : „Der Eindruck der Familie gut, Familie gesund. Der
Bauer ist intelligent. Mit dem Schweinehandel vernachlässigt er etwas die Wirt-
schaft [Streichung im Original].“233 Vielfach gelangten sie jedoch zu einem klaren
Urteil und plädierten etwa auf „einfache Kassabuchführung und landwirtschaft-
liche Betreuung, weil sich der Besitzer um seinen landwirtschaftlichen Betrieb
überhaupt nicht kümmert und wenig landwirtschaftliche Kenntnisse aufweist. Den
Sägebetrieb führt er mit einem Kompagnon zusammen, welcher zur Hälfte Besit-
zer des Betriebes ist […].“234 Weniger skeptisch zeigten sich die Sachbearbeiter
gegenüber außerlandwirtschaftlichen Lohnarbeitsverhältnissen : „Der Besitzer ist
nicht fleißig und beschäftigt sich mit unrentablem Kuhhandel, hat als Hilfsarbeiter
einen lohnenden Nebenverdienst zu holen. Frau ist sehr fleißig.“235 Nicht nur die
außerhäusliche Lohnarbeit, sondern auch die Heimarbeit erschien als eine recht-
mäßige Erwerbsstrategie – sofern sie nicht die Landwirtschaft beeinträchtigte :
„Der Besitzer arbeitet in einer Weberei, seine Frau zu Hause Heimarbeit. Kinder
gesund. Wirtschaft etwas unsauber und unordentlich. Eindruck der Familie gut, zu
entschulden.“236
Neben der Erwerbskombination bedienten sich die Sachbearbeiter weiterer Ar-
gumente, um bäuerliches Fehlverhalten zu deuten, so etwa der finanziellen Notlage :
„Die Wirtschaft ist unordentlich, unsauber. Der Antragsteller konnte infolge der
allgemeinen wirtschaftlichen Notlage und durch seine große Familie in der Wirt-
schaft durch Jahre keine Reparaturen und Verbesserungen vornehmen, deshalb die
stark verfallenen Wohn- und Wirtschaftsgebäude.“237 Neben derart allgemeinen
Begründungen wurden auch besondere Notlagen, etwa überhöhte Ausgedingelas-
ten, ins Treffen geführt : „Besitz wurde 1931 in vollkommen verlottertem Zustande
angekauft (der Wald ist ausgeplündert). Außerdem lastet noch ein Ausgedinge auf
dem Hof. Der Besitzer ist heute gezwungen, da die Ausnehmerwohnung unbe-
wohnbar, für den Ausnehmer die Miete zu bezahlen. [. . .] Betreuung angezeigt !“238
Neben den Geldsorgen nahmen die Sachbearbeiter auch Notiz von emotionalen
Bürden, etwa der Verzweiflung über schwere Unglücksfälle, als Begründungen
mangelhafter Wirtschaftsführung :
„Der Antragsteller wurde von Unglück im Laufe seines Lebens heimgesucht : Blitz-
schlag, Tötung seiner ersten Frau und drei Kühe, Abbrennen der Wirtschaft und
Unglück im Stall. Durch alle diese Unglücksfälle wurde der Antragsteller in seinem
Wirtschaftserfolg sehr beeinträchtigt und persönlich beansprucht. Er ist ein fleißiger
und anspruchsloser Arbeiter und bis zur Überbrückung des Zeitraumes, zu dem seine
Tochter die Wirtschaft übernehmen kann, besonders bedürftig.“239
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937