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143Durchleuchtete
Höfe
lagen : „Der Betrieb ist lebensfähig, jedoch muss eine intensive Wirtschaftsbera-
tung (auch Betreuung) [Streichung im Original] umgesetzt werden, bis der junge
Bauer bauernfähig ist (2–3 Jahre).“ Auch wenn der Sachbearbeiter die erwogene
Kontrolle durch einen landwirtschaftlichen Treuhänder wieder zurückzog und sich
mit einer „intensive[n] Wirtschaftsberatung“ begnügte, ließ er keinen Zweifel an
der zweifelhaften Wirtschaftsführung des Bauern offen.251 Texing war bekannt
als Heimatgemeinde von Engelbert Dollfuß, einer Leitfigur des christlichsozialen
Bauernbundes in der Zwischenkriegszeit, der 1934 als österreichischer Bundes-
kanzler von nationalsozialistischen Putschisten ermordet worden war.252 Ob der
Sachbearbeiter Bodinger eine Aversion gegen das katholisch-konservative Her-
kunftsmilieu des zum nationalsozialistischen Feindbild aufgebauten Bauernführers
auf den Hofinhaber projizierte, kann weder bestätigt noch ausgeschlossen werden ;
da jedoch die vorliegende Beurteilung seinem gesamten Urteilsprofil entspricht,
erscheint eine derartige Projektion als unwahrscheinlich.
Die betriebswirtschaftlich-bevölkerungspolitische Doppelbestimmung bäuerli-
cher Akteure, die den fehlgeleiteten Bauern kennzeichnete, fand an einer Kontrastfi-
gur, am vorbildlichen Bauern, eine Fortsetzung. Der „gute deutsche Bauer“, den der
Sachbearbeiter Zsoldos in einem Auersthaler „Musterbetrieb“ ausfindig gemacht
hatte, zeichnete sich nicht nur durch eine „sehr tüchtige und fortschrittliche Fa-
milie“, sondern auch durch „gesunde, prächtige Kinder“ aus.253 Hier wurde das
hierarchische Spektrum der beispielhaften Attribute – eine „tüchtige“, „sehr gute“,
„fortschrittliche“ oder gar „mustergültige“ Wirtschaftsführung
– voll ausgeschöpft.
Diese Superlative wurden häufig, neben dem Hinweis auf die „rassischen“ Vorzüge
der Familie, mit diversen Spielarten bäuerlichen Fleißes kombiniert : „sehr brave
und fleißige Familie, fortschrittlicher tüchtiger Bauer, erbgesunde prächtige Kin-
der“.254 Zu den herausragenden Merkmalen bäuerlicher Mustergültigkeit zählte
eine überdurchschnittliche Intensität des Ressourceneinsatzes : „sehr gut und in-
tensiv bewirtschafteter kleiner Betrieb“,255 „intensiv und beispielgebend bewirt-
schaftet“,256 „intensiv geführter sauberer landwirtschaftlicher Betrieb“.257 Was die
Sachbearbeiter unter „intensiv“ verstanden, führten sie an manchen Fällen genauer
aus : „Der Weidebetrieb mit Begüllung ermöglicht einen höheren Viehstand, der
sehr gut gehalten ist“.258 Neben der Ausweitung des Viehstandes durch eine ge-
steigerte Futtererzeugung galt die Ausstattung mit Maschinen und sonstigen
technischen Einrichtungen, etwa einem Gärfutterbehälter, als weiteres Intensitäts-
merkmal : „bestens und zeitgemäß geführte Wirtschaft, alles in bester Ordnung,
ausgezeichnete Wirtschaftsführung (Silo usw. vorhanden)“.259 Auch Investitionen
in Wohn- und Wirtschaftsgebäude wurden gewürdigt : „Der Besitzer hat den Hof
baulich sehr verbessert, alle Räume sind sehr sauber.“260 Schließlich zeichneten
einen „intensiven“ Betrieb überdurchschnittliche Erträge aus : „Der intelligente,
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937