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153„Blut
und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher
„Wir Biologen wissen, daß sich der Raum seine pflanzlichen und tierischen Bewoh-
ner insofern schafft, als er zu ihm passende Formen anzieht und begünstigt, andere
abstößt und verkümmern lässt. Aus diesem Spiel der Kräfte zwischen Boden und
Lebewesen ergibt sich ein schließlicher Gleichgewichtszustand, der ganz von selbst
arterhaltend und damit formprägend wirkt. Es ist beim Verhältnis zwischen Boden
und Mensch nicht anders. Der Boden mit Heimatwert bindet die ihm zugehörigen
Menschen, festigt ihre rassische Eigenart, stößt alles Fremde ab und führt schließ-
lich zu einem Gleichgewicht von Blut und Boden. Der seines Heimatwertes entkleidete
Boden dagegen macht die Menschen, die ihn bewohnen, allem Fremden zugänglich,
empfänglich für andersrassische Einflüsse, entwurzelt sie und vernichtet die Bindungen
von Blut und Boden [Hervorhebungen im Original].“7
Der Autor beließ seine Ausführungen zur Naturalisierung des Gesellschaftlichen
nicht im Abstrakten, sondern bezog sie auf konkrete „Landschafträume“ in Nie-
derdonau ; dabei erhielt das Marchfeld, wie in der Arbeit der Deutschen Studen-
tenschaft, eine unheilvolle Bedeutung zugeschrieben :
„Ich brauche wohl nicht besonders darauf hinzuweisen, welche Bedeutung der land-
wirtschaftliche Schaffensraum für den Bauern und Landarbeiter hat. Beide wissen es
meist nicht, was sie bei richtiger Flurgestaltung an die Scholle fesselt und bei schlech-
ter Gestaltung ihres eigenen Arbeitsraumes entwurzelt und zur Stadtflucht drängt.
Die Heimat zieht und hält fest ; man sehe sich nur einmal unsere alpenländischen
Bauern an oder die Bauern des Alpenvorlandes, wo überall noch Heimatwert die
Flurgestaltung auszeichnet. Das Chaos dagegen stößt ab, macht den Boden zur Ware
ohne innere Beziehung zum Menschen ; man sehe sich dazu unsere Flachlandbauern
im Marchfeld, in etlichen Gebieten des Weinviertels von Niederdonau und überhaupt
im größten Teil des Ostraumes des Gaues Niederdonau an.“8
Die Pseudolehre von den Anziehungs- und Abstoßungskräften des „Bodens“ ge-
genüber dem „Blut“ war kein belangloses Hirngespinst eines Provinzintellektu-
ellen, sondern dazu angetan, den „Landschaftsraum“ als politischen Planungsge-
genstand zu rechtfertigen. „Richtige Flurgestaltung“ hieß, die chaotische, durch
Grundstückszusammenlegungen geschaffene „Kultursteppe“ in eine heimatliche,
ursprüngliche Heckenlandschaft rückzuverwandeln.9 Damit verfing sich der
Autor unbeabsichtigt in einem Widerspruch : Die als ‚natürlich‘ angenommene
Verbindung von „Blut und Boden“ sollte ‚künstlich‘ (wieder-)hergestellt werden.
Gerade dieser Widerspruch zwischen Soll- und Ist-Zustand, der gleichsam zur
„Tat“10 aufrief, war konstitutiv für die Wirkmächtigkeit der „Blut und Boden“-
Metapher.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937