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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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154 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe „Blut und Boden“ bildete die tragende Metapher des nationalsozialistischen Diskurses über Grundbesitz  – bis 1945 und darüber hinaus.11 Ihr Wortführer war der spätere Reichsernährungsminister und Reichsbauernführer Richard W. Darré, der als Agrarideologe der NSDAP diese Formel Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre prägte.12 Die Historikerzunft hatte in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Schwierigkeiten, die „Blut und Boden“-Ideologie in den Gesamtzusam- menhang des NS-Systems einzuordnen : Manche sahen in Darré einen geschei- terten, von „grünen“ Anliegen beseelten Utopisten,13 andere einen Vordenker des nationalsozialistischen Krieges gegen die inneren und äußeren Feinde.14 Manchen erschien die „Blut und Boden“-Metapher als Gegenpol zur urban-industriellen Moderne,15 anderen als Teil des Entwurfs einer „anderen Moderne“.16 Manche be- tonten die Zurückdrängung der Rassenideologie durch die ernährungswirtschaft- lichen Erfordernisse des Expansionskurses seit dem Vierjahresplan von 1936,17 andere die Einheit von „Rasse“ und „Raum“ als entscheidenden Antrieb natio- nalsozialistischer Agrarpolitik bis zum Zusammenbruch des „Dritten Reiches“.18 Trotz aller Unstimmigkeiten besteht wohl über eines Einverständnis : Die „Blut und Boden“-Metapher war keine Neuschöpfung der Nationalsozialisten, sondern stand in der Tradition von Denkströmungen im Europa des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich im Agrarismus bündelten. Die Spielarten des Agrarismus setzten die ganzheitliche Vorstellung des mit der Scholle verbundenen „Bauern“ (im Gegensatz zum mobilen „Landwirt“) als Rückgrat des „Volkes“ ge- gen die Auflösungstendenzen der Moderne : die „entseelte“ Maschine, die „entwur- zelnde“ Stadt, den „gefräßigen“ Markt.19 Diese Tradition war eine erfundene ;20 sie entstand im Zusammenhang mit Erfahrungshintergründen und Erwartungshori- zonten von Intellektuellen angesichts der Folgen der als „Doppelrevolution“21 dis- kutierten politischen und ökonomischen Umwälzungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts : „Indem das Vor-Moderne immer schärfer von der neuen, der von der Französischen wie von der Industriellen Revolution geprägten Entwicklung getrennt wurde, entstand die ‚Tradition‘ jetzt erst spiegelbildlich als intellektuelle Mythenkonstruktion.“22 Die vermeintlich gegen die Moderne gerichtete Tradition des „Bauerntums“ als Teil der „Kräfte der Beharrung“ (Wilhelm Heinrich Riehl)23 erscheint als deren Wegbegleiterin ; so gesehen war der sich antimodern gebär- dende Agrarismus durchaus modern. Die „Urkatastrophe“ des Ersten Weltkriegs und die Doppelkrise von parlamentarischer Demokratie und liberalem Kapitalis- mus seit Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre beflügelten den Willen zur „Tat“ im Rahmen alternativer  – antiliberalistischer oder antisozialistischer  – Ent- würfe der Moderne.24 Eingebettet in die  – hier nur knapp skizzierten  – politisch-ökonomischen wie diskursiven Entwicklungen bis zur Zwischenkriegszeit trieben die nationalsozi-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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