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176 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
sierten Planungsentwürfe stießen jedoch nicht selten auf Ablehnung vonseiten der
Umsiedler/-innen, die etwa in Schwarzenau Planänderungen nach dem Vorbild
ihrer früheren Höfe durchzusetzen vermochten.124
Die Entsiedlung des Döllersheimer Raumes offenbart die ambivalente, zugleich
ein- und ausschließende Zielrichtung der nationalsozialistischen Bodenpolitik. Die
bodenpolitische Janusköpfigkeit betraf aber auch andere Teile des „Bauerntums“ in
Niederdonau. Eine kurze Notiz Heinz Haushofers im Porträt seiner Behörde von
1940 verweist auf grundlegende bodenpolitische Probleme :
„Das landwirtschaftliche Bild des Reichsgaues Niederdonau mit seiner ungeheuren
Mannigfaltigkeit ist bekannt : Es reicht vom intensiven Wein-, Garten- und Tabakbau
bis zu den Hochalmen, und von den pannonischen Klimaverhältnissen bis zu denen
der deutschen Waldgebirge. Es reicht ferner von den Problemen der Realteilungsge-
biete mit ihrer Bodenzersplitterung bis zu den Problemen der Bergbauernhöfe. Die
Neuordnung der landwirtschaftlichen Verwaltung steht also vor einem Prüfstein, an
dem sie sich bewähren kann und wird.“125
Bereits 1943 konnte der Abteilungsleiter in der Behörde des Reichsstatthalters
in Niederdonau seine agrarpolitische Um- und Vorschau mit einem Rückblick
auf seine dreieinhalbjährige Bewährungsprobe an diesem „Prüfstein“ verbinden.
Ausführlich erörterte er die Grundbesitzverhältnisse, die in Niederdonau „ebenso
wenig gesund, wie sie einheitlich“ seien ; dabei kam er auf die als Problemzonen
gewerteten Regionen zu sprechen. Im Flach- und Hügelland, das sich in der Ost-
hälfte des Reichsgaues und südlich der Donau als West-Ost-Achse erstreckte,
herrsche mancherorts, vor allem in den Weinbauzonen und im Umland von Wien,
eine starke „Bodenzersplitterung“ als Folge von Realteilung und Gemengelage.
Dieses quasi ererbte Problem sei durch den außerlandwirtschaftlichen „Boden-
hunger“ seit dem „Anschluss“ verschärft worden :
„Im Zuge der Wehrverstärkung vor dem Kriege sind große Flächen für die verschie-
densten Zwecke der Wehrmacht in Anspruch genommen worden. Die Umsiedler
konnten zum Teil auf dazu erworbenen Gütern von der Deutschen Ansiedlungs-
gesellschaft im Auftrag der Wehrmacht mit Neubauten angesiedelt oder auf dem
damals noch vorhandenen ‚Gütermarkt‘ untergebracht werden. Dann folgen große
Landkäufe im Zuge der industriellen Aufrüstung. Weitere Landwünsche kleinerer
Bedarfsträger verstärkten den Bodenhunger in den dichtbesiedelten Landschaften des
Gaues. Denn viele dieser Vorhaben mußten sich zwangsläufig auf die ebenen, zumeist
guten Ackerflächen der Beckenlandschaften zusammendrängen. Diese sind mit weni-
gen Ausnahmen siedlungsmäßig nicht gesund ; in ihnen liegen einerseits alle Ansätze
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937