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223Wer
ist (k)ein „Bauer“ ?
führer, machten widersprüchliche Aussagen, wohl aufgrund des Drucks der einen
oder anderen Seite.283 Der größte Druck lastete wohl auf dem 75-jährigen Vater
der beiden Kontrahenten, der einerseits gemeinsam mit dem „weichenden Erben“
bereits mehrmals Anträge auf Entmündigung des Hofübernehmers eingebracht
hatte, andererseits im Verfahren dessen „Wirtschaftsfähigkeit“ und „Ehrbarkeit“
erklärte.284 Nachdem die „Bauernfähigkeit“ des Erbhofeigentümers noch 1939 be-
stätigt worden war,285 folgte das AEG nach langwierigen Ermittlungen nunmehr
dem Antrag des Reichsnährstands. Die Richter erkannten dem Erbhofeigentümer
die „Bauernfähigkeit“ ab und übertrugen die „Verwaltung und Nutznießung“ des
Hofes an dessen Vater als dem nächsten Anerben gemäß des REG.286 Im Zuge
neuerlicher Ermittlungen wegen der Beschwerde des Unterlegenen287 gegen dieses
Urteil nahm das Verfahren eine überraschende Wendung : Rothensteiner heiratete
eine über ein Zeitungsinserat kontaktierte Wiener Geschäftsfrau, der er noch vor
der Hochzeit ein Häuschen überschrieben hatte.288 Wie immer diese Heirat auch
motiviert gewesen sein mochte – sie brachte die vormalige Geschlechterunord-
nung gemäß der vorherrschenden Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen
in ökonomischer und moralischer Hinsicht wieder in Ordnung. Der Reichsnähr-
stand zog seinen Antrag zurück mit dem Argument, dass sich die Wirtschaftsfüh-
rung durch die Arbeitsteilung des Paares – er außer Haus, sie im Haus – merklich
verbessert hatte. Dabei blieb die Tatsache, dass die weiterhin in Wien arbeitende
und wohnende Frau nur alle 14 Tage auf dem Hof erschien, um das Wäschewa-
schen und andere Hausarbeiten zu erledigen,289 unberücksichtigt. Zudem war das
Gerede über die „Perversität“ des Erbhofeigentümers im Dorf verstummt. Offen-
bar genügte der Obrigkeit der äußere Anschein „ordentlicher“ Wirtschaftsführung
und „ehrbaren“ Verhaltens, um die Angelegenheit ruhen zu lassen.290
Das Verfahren, das den zweiten Fall darstellt, befindet sich im rechten unteren
Bereich des Raumes der „Bauernfähigkeit“. 1942 behauptete der Horner Kreisbau-
ernführer gegenüber dem AEG, dass Maria Huber, Eigentümerin eines 15 Hek-
tar umfassenden Erbhofes in Kattau im AGB Eggenburg, bereits zum Zeitpunkt
der Anlegung der Erbhöferolle nicht „bauernfähig“ gewesen sei ; damit wäre auch
der Erbhofstatus weggefallen. Begründet wurde der Antrag mit der nachlässigen
Bewirtschaftung – die Felder seien „total verunkrautet, teilweise nicht bestellt“ –
sowie der mangelnden Zahlungsmoral gegenüber Finanzamt und Sparkasse Eg-
genburg. Daran hätten auch die Appelle der Kreisbauernschaft zur Besserung der
Missstände nichts geändert. Daraufhin verpflichtete der Kreisbauernführer einige
„unabkömmlich“ („uk“) gestellte Bauern in der Gemeinde dazu, die Gründe Hu-
bers mitzubetreuen.291 Überdies sei der zur Wehrmacht eingezogene Sohn der Ei-
gentümerin wegen mangelnden Interesses für den Hof nicht „bauernfähig“ – ein
Vorwurf, den der Kattauer Bürgermeister mit dem Hinweis auf dessen Vorstrafen-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937