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224 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
register und Alkoholkonsum noch verstärkte.292 Mit diesen Vorwürfen konfron-
tiert, räumte Huber die „nicht intensiv[e]“ Bewirtschaftung ihrer Gründe zwar ein ;
den Vorwurf der „Wirtschaftsunfähigkeit“ suchte sie jedoch mit Verweis auf den
Arbeitskräftemangel – außer ihr und dem 90-jährigen Schwiegervater arbeiteten
keine Personen auf dem Hof –, ihren schlechten Gesundheitszustand – ein Fuß-
leiden erschwere die Arbeit –, die verweigerte Mithilfe der Ortsbewohner/-innen
und ihre mangelnde Erfahrung im Umgang mit den Ackergeräten zu entkräften.293
Hubers Kampf um ihre „Bauernfähigkeit“ und die Eintragung ihres Hofes in die
Erbhöferolle lässt zwei Strategien erkennen : die Unabkömmlichkeits-Stellung ih-
res eingerückten Sohnes und den gesetzlichen Schutz des überschuldeten Hofes vor
der drohenden Zwangsversteigerung. Nach Einvernahme ortsansässiger Hofbesit-
zer, die den „verludert[en]“ Zustand der Äcker seit mehreren Jahren bekräftigten,
ergab eine Hofbesichtigung weitere Mängel : das Gebäude sei baufällig, das Vieh
unterernährt, der Gerätebestand lückenhaft.294 Vor diesem Hintergrund sprach das
AEG Huber die „Bauernfähigkeit“ zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des REG
und ihrem Hof den Erbhofstatus ab. Über Unfähigkeit und Unwilligkeit hinaus
unterstellten die Richter der Hofeigentümerin, sie wolle durch eine mangelhafte
Wirtschaftsweise und die Weigerung, in- oder ausländische Arbeitskräfte einzu-
stellen, in „spekulativer Absicht“ die uk-Stellung ihres Sohnes erwirken.295 Huber
folgte in ihrer Beschwerde an das Erbhofgericht Wien weitgehend der bisheri-
gen Verteidigungsstrategie, dem Verweis auf Arbeitskräftemangel und Krankheit.
Hinzu kam nun noch der Vorwurf, die zur Betreuung ihrer Felder verpflichteten
uk-Gestellten seien „nur im äußersten Notfall“ erschienen. Unter der Abhängig-
keit von den „Gnaden der uk-Gestellten“ habe die Wirtschaft gelitten ; deshalb
seien erhebliche Mengen an Feldfrüchten verdorben.296 Das Erbhofgericht Wien
folgte in seinem Urteil dem Vorschlag des Kattauer Bürgermeisters und Ortsbau-
ernführers, das Verfahren bis Kriegsende auszusetzen, weil der Reichsnährstand
eine Zwischenlösung durchgesetzt hatte : Die Gründe der Erbhofeigentümerin
waren an ortsansässige Bauern verpachtet worden ; mit dem Pachtzins und dem
Verkaufserlös der Pferde sollte die Erbhofeigentümerin die Schulden tilgen.297
Die beiden Verfahren des dritten Falles finden sich im linken oberen und unte-
ren Bereich des Raumes der „Bauernfähigkeit“. Rosa Müller hatte vor Einführung
des REG einen 23 Hektar großen Hof in Ollern im AGB Tulln von ihren Eltern
übernommen. 1944 beantragte der Reichsnährstand die „Abmeierung“ der Erbho-
feigentümerin zugunsten des Ehegatten Johann Müller. Der Landesbauernführer
begründete seinen Antrag mit dem „katastrophale[n] Zustand“, in den die Erb-
hofeigentümerin den Betrieb nach der Einrückung ihres Mannes zur Wehrmacht
manövriert hatte. Eine Besichtigung durch die Kreisbauernschaft Tulln hatte ein
„trostloses Bild“ ergeben : der Weingarten ein „Unkrautfeld“, die Äcker durchwegs
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937