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254 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
lagerung entsprach der nationalsozialistischen „Blut und Boden“-Ideologie, einer
rassistischen und imperialistischen Übersteigerung antiliberalistischer und an-
tisozialistischer Entwürfe einer alternativen Moderne seit dem ausgehenden 19.
Jahrhundert. Deren Wortführer wandten sich gegen die Vorstellung eines freien
Bodenmarktes, aber auch gegen die Vergesellschaftung des Privateigentums. Der
Boden sollte weder als Ware gehandelt, noch als Staatsbesitz verwaltet werden ;
vielmehr wurde er als unter Staatsaufsicht gestelltes Erbe an eine bäuerliche „Sippe“
als Keimzelle des „deutschen Volkes“ gebunden.
Dieser dritte, korporativistische Weg der Bodenordnung zwischen Liberalis-
mus und Sozialismus wurde in der Ostmark bald nach dem „Anschluss“ durch ein
umfassendes Regelwerk institutionell verankert. Das exklusive Regulativ der „Ari-
sierung“ peilte die Umverteilung jüdischen Grundbesitzes zugunsten der „Neubil-
dung deutschen Bauerntums“ an. Das inklusive Regulativ des Reichserbhofrechts
und des nicht erbhofgebundenen Bodenrechts, einschließlich des Pächterschutzes,
sollte durch die Genehmigungspflicht von Veräußerungen, Teilungen und Belas-
tungen der kapitalistischen Verwertung von Grundbesitz einen Riegel vorschieben.
Diese Regulative definierten den Zugang gesellschaftlicher Gruppen zu Grund-
besitz nach „Rassen-“, Klassen- und Geschlechterzugehörigkeit um : Personen
„nichtdeutscher Volkszugehörigkeit“, allen voran „Juden“, wurden vom Grundbe-
sitz gänzlich ausgeschlossen ; Kleinbauernfamilien und Gutsbesitzer/-innen wur-
den aus dem auf mittel- und großbäuerliche Höfe beschränkten Erbhofstatus aus-
geklammert ; Frauen wurden gegenüber Männern in der Erbfolge erbhofrechtlich
benachteiligt.
Weder die inklusive noch die exklusive Seite der nationalsozialistischen Boden-
ordnung wurden bis Kriegsende zur Gänze in die Alltagspraxis umgesetzt. Die
vom Amt des Reichsstatthalters vorangetriebene „Verbäuerlichung“ durch „Arisie-
rung“ blieb – wie an der Umsiedlung der Bewohner/-innen des Truppenübungs-
platzes Döllersheim gezeigt – aufgrund bürokratischer Widersprüche im Anlauf
stecken ; von den durchgeführten Fällen profitierte vor allem die Staatskasse. Das
von der Erbhofgerichtsbarkeit angewandte Reichserbhofrecht stieß in der bäu-
erlichen Bevölkerung vielfach auf Skepsis, Ablehnung und Protest, weil es – vor
allem in den Weinbaugebieten mit Realteilung im Osten des Reichsgaues
– bäuer-
lichen Rechtsgewohnheiten im Umgang mit Grundbesitz widersprach. Zunächst
suchten die Gerichte diese Widersprüche zwischen Norm und Praxis durch eine
flexible Rechtssprechung zu entschärfen ; schließlich griff das NS-Regime sogar
einige Reformvorschläge – die Gütergemeinschaft der Ehegatten sowie die Auf-
wertung der weiblichen gegenüber den männlichen Nachkommen in der Erb-
folge
– auf. Zwar entkräfteten die Zugzwänge der Kriegsführung, die vor allem mit
dem Übergang vom „Blitzkrieg“ zum Abnützungskrieg 1941/42 hervortraten, die
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937