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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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260 „Menschenökonomie“ unter Zwang Gegen die drohende Klassenspaltung auf dem Land, vor allem die parteipoli- tische Mobilisierung der „unvollendeten Klasse“24 der Landarbeiterschaft, wandte sich Heinrich Sohnrey, dessen publizistisches Werk den Landfluchtdiskurs öffent- lichkeitswirksam entfachte. Der Autor erhob in seiner 1894 erschienenen Pro- grammschrift Der Zug vom Lande und die soziale Revolution die „Landflucht“ von ei- ner sozialökonomischen Fach- zu einer staats- und volkspolitischen Existenzfrage. Seine antiliberalistische, vor allem aber prononciert antisozialistische Stoßrichtung verschmolz mit Antiurbanismus und Antislawismus zu einem christlich-konser- vativen Heilsentwurf gegen die großindustriell-massendemokratische Spielart der Moderne. Dabei knüpfte er an die Bauerntumsideologie Wilhelm Heinrich Riehls sowie die sozialbiologische Verstädterungstheorie Georg Hansens und Otto Am- mons an.25 Im auf Sohnreys Betreiben hin 1896 gegründeten Deutschen Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege etablierten Großgrundbesitz, Bildungs- bürgertum und Ministerialbürokratie eine staatsnahe Organisation, um  – anstelle der gegen die Industrieinteressen kaum durchsetzbaren Maximalforderungen der Agrarier (Einschränkung der Freizügigkeit, Verstaatlichung des Getreideaußen- handels, Einführung der Gold-Silber-Doppelwährung usw.)  – die „Landflucht“ durch Reformansätze wie die bäuerliche Siedlungs- und Genossenschaftsbewe- gung, „Heimat“-Publizistik und Jugendarbeit in geordnete Bahnen zu lenken.26 „Landflucht“ wurde seit ihrer Erfindung als agrarromantischer Kampfbegriff in den 1890er Jahren zum Fixpunkt akademischer und populärer Debatten um „Bau- erntum“ und „Landvolk“ in den Folgejahrzehnten. Dabei ging es stets um mehr als (agrar-)ökonomische Aspekte ; der Agrar- und Landbevölkerung wurde ein auße- rökonomischer Mehrwert  – als „Basis“, „Keimzelle“ oder „Jungbrunnen“ von „Na- tion“, „Volk“ oder „Rasse“  – zugemessen.27 In den Debattenbeiträgen vermisch- ten sich häufig zwei voneinander getrennte Phänomene : die regionale Mobilität der Land-Stadt- und Land-Land-Wanderung sowie die sektorale Mobilität des Berufswechsels von der Land- und Forstwirtschaft in andere Wirtschaftszweige. Folglich wurde vorgeschlagen, im Rahmen eines weiten Landfluchtbegriffs die „Landflucht“ im engeren Sinn, einschließlich der alpinen „Höhenflucht“,28 von der „Landwirtschaftsflucht“29 zu scheiden.30 Was die Brisanz der Debatte um die „Landflucht“ in der Ostmark ausmachte, war weniger die Richtung, sondern das Ausmaß der Abwanderung. So diagnosti- zierte Landwirtschaftsminister und Landesbauernführer Anton Reinthaller bereits im Juni 1938 pathologisierend eine „Landflucht-Psychose“.31 Als therapeutischer Befund diente eine von ihm in Auftrag gegebene Erhebung über 2.520 Bauernbe- triebe in 33 Ortsbauernschaften, die aus 18 Kreisen der Landesbauernschaft Do- nauland stammten (Tabelle 4.1). Danach verließen im Durchschnitt 22 Prozent, in Extremfällen bis zur Hälfte der familienfremden Arbeitskräfte innerhalb eines
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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