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288 „Menschenökonomie“ unter Zwang
„Ausländereinsatz“ in der Landwirtschaft des Gaues Niederdonau war spätestens
1944 an administrative Grenzen gestoßen ; daraus ergab sich eine Verlagerung der
Steuerungsebene der „Menschenökonomie“ : Die strategische „Einsatzlenkung“
des Gauarbeitsamtes wurde mehr und mehr durch die taktische Improvisation un-
tergeordneter Dienststellen ersetzt.
Das Bestreben der Arbeitsämter, den „Ausländereinsatz“ auf dem landwirt-
schaftlichen Arbeitsmarkt zu lenken, stieß am Eigensinn jener, die Arbeitskraft
nachfragten, und jener, die Arbeitskraft unter Zwang anboten, an Grenzen. Am
Reichsgau Niederdonau lassen sich solche Reibungsflächen zwischen Fremd- und
Selbststeuerung genauer bestimmen. Aufseiten vieler Betriebsbesitzer/-innen stand
gegen Ende 1939 und Anfang 1940 das Warten auf die „Polen“ im Vordergrund.
Falls diese länger auf sich warten ließen, wurde bisweilen bei den bäuerlichen „In-
teressenten“ Kritik laut, die sich auch gegen die Arbeitsämter richtete.112 Mangeln-
des Vertrauen in die Tätigkeit der Arbeitsämter veranlasste manche Betriebsleiter/-
innen auch, auf eigene Faust ausländische Arbeitskräfte zu rekrutieren.113 Aus
bäuerlicher Sicht erschienen die vom Staat zugewiesenen Ausländer/-innen als be-
rechtigte Gegenleistung für die entzogenen Inlandsarbeitskräfte und die strengen
Ablieferungsverpflichtungen.114 Vor dem Hintergrund des drückenden Arbeits-
kräftemangels wuchsen die bäuerlichen Begehrlichkeiten, wie ein Gendarmerie-
bericht aus dem Kreis Amstetten vom Mai 1940 andeutet : „Um die Polen und
Polinnen raufen sich daher beinahe manche Bauern.“115 Manche Dienstgeber/-
innen nützten die Verfügbarkeit der polnischen Frauen und Männer, um den Lohn
deutscher Beschäftigter zu drücken oder diese sogar zu entlassen.116
In das Warten auf und manchmal auch „Raufen“ um die polnischen Arbeits-
kräfte mischte sich auf Seiten der Landarbeiter und Bauern bald die Sorge um
die Unabkömmlichkeitsstellung. So sprach etwa ein Gendarmeriebericht aus dem
Kreis Amstetten im März 1940 von der Weigerung zahlreicher Bauern, polni-
sche Arbeiter/-innen einzustellen : Die Betreffenden wollten sich „vom Militär
drücken“ und daher „polnische Arbeiter nicht einstellen, um selbst in der Wirt-
schaft verbleiben zu können“ ; zudem standen Bürgermeister und Ortsbauernfüh-
rer, deren „wehrfähige Verwandten- und Bekanntenkreise nicht zum Wehrdienst
eingezogen wurden“, im Mittelpunkt des dörflichen Geredes.117 Dass eine Un-
abkömmlichkeits-Stellung („uk“) im bäuerlichen Denken Vorrang vor der Zu-
weisung ausländischer Arbeitskräfte genoss, zeigt der „Ausländereinsatz“ in der
Gemeinde Frankenfels im Kreis St. Pölten : Die 34 Betriebe von Mitgliedern der
NSDAP oder der SA verfügten mit im Schnitt 0,23 Zuweisungen 1939 bis 1945
über vergleichsweise weniger ausländische Arbeitskräfte als die 135 übrigen Bau-
ernbetriebe, auf die durchschnittlich 0,43 Zuweisungen entfielen. Zusätzlich zur
Bevorzugung von Parteimitgliedern bei uk-Stellungen wurden bei der Zuteilung
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937