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289Die
Steuerung des „Reichseinsatzes“
ausländischer Arbeitskräfte größere Betriebe gegenüber kleineren bevorzugt.118
Neben der Sorge um die Zurückstellung der Familienangehörigen vom Militär
behinderte die verbreitete Entlassung der Arbeitskräfte während des Winters den
„Ausländereinsatz“, worauf die Arbeitsämter mitunter heftig reagierten. So wurde
im Kreis Zwettl im Dezember 1940 ein Betriebsinhaber, der um Abziehung seines
belgischen Kriegsgefangenen ersuchte, mit der „sofortigen Einrückung zum Mi-
litärdienst“ bedroht.119 Umgekehrt nährte die Abziehung der Ausländer/-innen
während der Wintermonate die Sorge, ob das Arbeitsamt diese im Frühjahr wieder
zuweisen würde.120 Das Warten auf „die Polen“ wich mit der Verfügbarkeit neuer
Gruppen von Arbeitskräften bald dem Wunsch nach Austausch innerhalb der-
selben Kategorie oder zwischen unterschiedlichen Kategorien von Arbeitskräften
aus dem Ausland. Häufig wurde, nationalistischen Stereotypen folgend, mit dem
„Übermut“ der westlichen Kriegsgefangenen121 und den „verderblichen Einflüssen“
der osteuropäischen Arbeitskräfte122 argumentiert. Doch im Arbeitsalltag schliffen
sich solche Stereotypen vielfach ab. So verwies ein Gendarmeriebericht aus dem
Kreis Amstetten im Mai 1942 auf den Wunsch der Bauernschaft, die „sowjet-
russischen Kriegsgefangenen für die polnischen Zivilarbeiter umzutauschen, da
erstere fleißiger, arbeitswilliger und folgsamer sind“123.
Die Handlungsmöglichkeiten der Frauen und Männer aus den verbündeten
und unterworfenen Staaten Europas, die in der Landwirtschaft des Reiches zur
Arbeit eingesetzt wurden, waren erheblich enger begrenzt als jene der bäuerlichen
Dienstgeber/-innen. Aufgrund diskriminierender Vorschriften, etwa der „Polen“-
und „Ostarbeiter“-Erlasse, war eine Mitsprache bezüglich Dauer und Ort des
Beschäftigungsverhältnisses weitgehend eingeschränkt, im Fall der Kriegsgefan-
genen, osteuropäischen Zivilarbeitskräfte und „ungarischen Juden“ gänzlich aus-
geschlossen.124 Ihren untergeordneten Status erfuhren Osteuropäer/-innen bereits
anlässlich der Zuteilung an die Dienstgeber/-innen auf dem Arbeitsamt, die sie
vielfach wie einen „Viehmarkt“ wahrnahmen.125 Dennoch wird in den behördli-
chen Lageberichten deutlich, dass ausländische Arbeitskräfte trotz der rigorosen
Einschränkungen durchaus Möglichkeiten zum Wechsel des Arbeitsplatzes vor-
fanden – und auch nutzten. Derartige Schritte der Ausländer/-innen wurden von
den Behörden aufmerksam registriert und scharf geahndet. Die Berichte von Gen-
darmen, Landräten, Arbeitsämtern und anderen Dienststellen sprechen immer
wieder von „Arbeitsflucht“
– einem Delikt, das den Behörden zur Kriminalisierung
der vielfältigen Überlebensstrategien ausländischer Arbeitskräfte diente.126
In den ersten Jahren des „Ausländereinsatzes“ stand noch die befristete oder
unbefristete Rückkehr in das Herkunftsland zur Debatte.127 Vielfach trugen die
Frauen und Männer aus dem Ausland ihre Wünsche an das jeweilige Arbeitsamt
heran – worauf die Polizeibehörden häufig mit Repressionen reagierten. Einem
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937