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291Die
Steuerung des „Reichseinsatzes“
aufgewendeten Arbeitskraft, ab. Mangels präziserer Angaben dient uns als grobe
Annäherung die Arbeitskräftedichte, die Zahl der pro Flächeneinheit beschäftig-
ten Personen. Die Landkreise, deren Arbeitskräftedichte über dem Schnitt von
307 Arbeitskräften pro 1.000 Hektar Betriebsfläche rangierte, lagen allesamt am
östlichen Rand und im nordöstlichen Viertel des Reichsgaues ; Spitzenreiter war
der Kreis Znaim mit 593 Personen. Diese Region war geprägt vom arbeitsintensi-
ven Ackerbau, regional kombiniert mit Weinbau. In den übrigen Kreisen, in denen
Grünland- und Forstwirtschaft hervortraten, bewegten sich die Arbeitskräftedich-
ten im oder unter dem gauweiten Schnitt ; das Schlusslicht bildete der Kreis Lili-
enfeld mit 90 Personen. Eng mit den Landnutzungsformen hing der saisonale Ar-
beitskräftebedarf zusammen : Im Unterschied zu Grünland- und Forstwirtschaft
zeichneten sich Acker- und Weinbau auf der Handarbeitsstufe durch Arbeitsspit-
zen zu den je nach Fruchtart variierenden Anbau- und Erntezeiten aus. Entspre-
chend lagen in den Kreisen mit überdurchschnittlicher Dichte in der Regel auch
die Anteile der nichtständigen Arbeitskräfte
– fallweise mitarbeitende Familienan-
gehörige, Taglöhner/-innen und Saisonarbeiter/-innen – über dem Durchschnitt ;
Ausnahmen bildeten die Kreise Oberpullendorf und Tulln, in denen wie im über-
wiegenden Rest des Reichsgaues die ständigen Arbeitskräfte – Betriebsleiter/-in-
nen, regelmäßig mitarbeitende Familienangehörige und Gesinde – anteilsmäßig
hervortraten. Schließlich beeinflusste das Kräftepotenzial der bäuerlichen Fami-
lien, das in den Kreisen Zwettl, Krems und Oberpullendorf deutlich über dem
Durchschnitt lag, den Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften. Hingegen zeigten die
Kreise Scheibbs, Lilienfeld, Baden und Gän sern dorf stark überdurchschnittliche
Anteile familienfremder Arbeitskräfte. Grob betrachtet, von wenigen Kreisen ab-
gesehen, überlagerten sich in Niederdonau ein Ost-West-Gefälle hinsichtlich der
Arbeitskräftedichte und des Anteils nichtständiger Arbeitskräfte und ein Nord-
Süd-Gefälle im Hinblick auf den Anteil der Familienarbeitskräfte (Abbildung 4.9,
Anhang).
Korrespondierten diese regionalen Muster des Arbeitskräftebestandes mit ent-
sprechenden Mustern des „Ausländereinsatzes“ in den Regionen ? Oder, wenn der-
artige agrarökonomische Maßstände wenig Gewicht hatten, folgte der „Reichsein-
satz“ in Niederdonau vorrangig außerökonomischen Maßstäben ? Um Antworten
auf diese Fragen zu finden, begeben wir uns abermals auf die Suche in einem
mehrdimensionalen Raum, der die neun Arbeitsamtsbezirke mit ihren 27 Stadt-
und Landkreisen zueinander in Beziehung setzt. Der Raum des landwirtschaftlichen
„Reichseinsatzes“ beruht auf 16 Merkmalen, die sich auf Betriebsgrößen, Kulturar-
ten, Mechanisierung sowie Dichte und Zusammensetzung der in- und ausländi-
schen Arbeitskräfte beziehen. Ein Teil der Merkmale stammt aus der landwirt-
schaftlichen Betriebszählung im Mai 1939 ; der andere Teil bezieht sich auf die
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937