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297Die
Steuerung des „Reichseinsatzes“
vilarbeiter im Einsatz waren. Offenbar waren nicht nur auf Gauebene, sondern auch
in den vier Arbeitsamtsbezirken, vor allem in den Intensivregionen im Osten Nie-
derdonaus, Frauen in höherem Maß als Männer vom saisonalen Wechsel zwischen
Landwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen betroffen.
Eine weitere Facette des saisonalen Wechsels zwischen den Wirtschaftszwei-
gen zeigt die Agrarquote, der Anteil der in Land- und Forstwirtschaft einge-
setzten Arbeitskräfte an der Gesamtheit. Die abnehmende Tendenz verweist auf
die wachsende Konkurrenz zwischen den als „kriegswichtig“ eingestuften Wirt-
schaftszweigen um die knappe Ressource Arbeitskraft. Die Agrarquoten zeigten in
Gän sern dorf und Znaim deutlichere Schwankungen zwischen Winter- und Som-
mermonaten als in Amstetten und Gmünd – ein weiterer Beleg für die saisonalen
„Umsetzungen“ ausländischer Zivilarbeiter/-innen zwischen dem Agrarsektor und
anderen Wirtschaftsbereichen, von denen Frauen in höherem Maß als Männer
betroffen waren. Entsprechend wurde aus dem Kreis Bruck an der Leitha im De-
zember 1942 berichtet : „Ein großer Teil der in der Landwirtschaft beschäftigten
Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeiter wurde bereits eingezogen und
anderweitig in Beschäftigung genommen. Es wurde allerdings die Zusage ge-
macht, dass diese Arbeitskräfte beim Beginn der Frühjahrsarbeiten der Landwirt-
schaft wieder zur Verfügung gestellt werden.“144 Im Arbeitsamtsbezirk Amstetten
lag die Agrarquote durchwegs unter dem gauweiten Durchschnitt ; hier wurden
große Kontingente ausländischer Zivilarbeiter/-innen dem Industriecluster zwi-
schen Amstetten, Waidhofen an der Ybbs und St. Valentin zugewiesen. Hingegen
verdeutlichen die überdurchschnittlichen Werte für Znaim, Gmünd und Gän sern-
dorf das agrarische Gepräge dieser grenznahen Regionen im Norden und Osten
des Reichsgaues.
Der saisonal und regional schwankende Bedarf an Landarbeitskräften fand in
der „Einsatzlenkung“ durch das Landes- bzw. Gauarbeitsamt, die zivile Ausländer/-
innen, Kriegsgefangene und Inländer/-innen erfasste, seinen Niederschlag (Abbil-
dung 4.13). Die Einsatzwellen zum Zweck der Frühjahrsarbeiten im März 1943
sowie im April und Mai 1944 kamen vor allem den acker- und weinbaulich ge-
prägten Regionen Gän sern dorf und Znaim zugute ; die Regionen Amstetten und
Gmünd mit ihrem grünland- und forstwirtschaftlichen Schwerpunkt mussten sich
mit geringeren Zuweisungen begnügen. Die Koppelung von „Einsatzlenkung“ und
saisonalem Arbeitskräftebedarf schlug sich auch im Zahlenverhältnis der Nati-
onalitäten nieder : Die Zahlen der neu eingesetzten Ausländer/-innen pro 100
Inländer/-innen lagen in den nordöstlichen Intensivregionen während der arbeits-
intensiven Frühjahrsmonate meist über jenen der extensiver genutzten Gebiete
im Nord- und Südwesten. Demzufolge wurden die saisonalen Arbeitsspitzen im
Acker- und Weinbau in höherem Maß durch den Einsatz von Ausländer/-innen
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937