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Arbeit als alltägliches Kräftefeld
nete den Alltag der „Menschenökonomie“. Sie war Teil eines Kräftefeldes, in dem
unterschiedlich mächtige Akteure um die Verfügung über die
– vor allem unter den
Bedingungen von „Landflucht“ und Kriegsdienst
– knappe Ressource Arbeitskraft
rangen. Versuchen wir, das Geflecht der Machtbeziehungen – vor allem im Hin-
blick auf ausländischer Zivilarbeiter/-innen und Kriegsgefangene in Relation zu
inländischen Arbeitskräften – etwas zu entwirren.
„Es wird bemerkt, dass die Bevölkerung bemüht ist, den immer fortschreiten-
den Ausfall an Arbeitskräften durch Verlängerung der Arbeitszeit und Mehrleis-
tungen auszugleichen“, so der Bericht des GP Wolfsbach vom Mai 1940.146 Im
Hinblick auf den „Ausländereinsatz“ ist klärungsbedürftig, ob die hier angespro-
chene Selbstausbeutung der bäuerlichen Familienbetriebe gleichermaßen auf den
Schultern der Beschäftigten lastete oder etwa nach Nationalität, Rechtsstatus oder
Geschlecht ungleich verteilt war. Auf dem Weg zu Antworten über die alltäglichen
Handlungsmuster ist es unumgänglich, sich mit den vorherrschenden Deutungs-
mustern auseinanderzusetzen. Bereits die Einsatzbestimmungen der Kriegsgefan-
genen von 1940 legten fest : „Arbeitszeit und Arbeitsdauer bestimmen sich nach
Ortsgebrauch und körperlicher Leistungsfähigkeit des Kgf. Ihre Arbeitskraft ist
auf das schärfste anzuspannen.“147 Noch diffuser waren die Arbeitszeiten der aus-
ländischen Zivilarbeiter/-innen umrissen. Vor diesem Hintergrund öffnete sich ein
breiter Ermessensspielraum, der Auseinandersetzungen im alltäglichen Kräftefeld
des „Arbeitseinsatzes“ Tür und Tor öffnete.
Zentrale Streitpunkte waren Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, vor
allem in Bezug auf die westlichen Kriegsgefangenen. Einerseits wird berichtet, dass
die Dienstgeber/-innen „allgemein eine längere Arbeitszeit von diesen Franzosen“
eingefordert hätten.148 Andererseits wurde den kriegsgefangenen Franzosen vor-
gehalten, ihre Rechte vehement einzufordern : Danach würden „die Kriegsgefan-
genen, insbesondere Franzosen, Beginn und Ende der Arbeitszeit viel zu genau
nehmen, so dass die Einheimischen schon längst noch arbeiten müssen, wenn die
Kriegsgefangenen sich schon ausruhen.“149 Der von den Behörden registrierte Un-
mut westlicher Kriegsgefangener über die eigene Benachteiligung und die angeb-
liche Bevorzugung anderer veranlasste die Behörden offenbar zu einer besseren
Koordination der Arbeitszeitbestimmungen. So wurden etwa im Kreis Horn im
Juni 1943 zwischen Kreisbauernführer und Wehrmachtsbehörden die Arbeitszei-
ten der Kriegsgefangenen von halb sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends fest-
gelegt, „da gerade dies bei den einzelnen Arbeitskommanden sehr verschieden war
und deshalb oft Schwierigkeiten entstanden sind“.150 Dass die Kriegsgefangenen
im Allgemeinen, die Franzosen im Besonderen größere Verhandlungsspielräume
über die Arbeitszeit vorfanden als andere Kategorien ausländischer Arbeitskräfte,
legt ein Bericht aus demselben Kreis vom August 1944 nahe : Während unter den
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937