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320 „Menschenökonomie“ unter Zwang
ausdrücklich verneint. Erst im Herbst 1943 wurden Fälle von „Arbeitsunlust“, da-
runter auch von „Polen“ und „Ostarbeitern“, namhaft gemacht.231 Im Februar und
März 1944 zeichnete sich jedoch eine Wende in der Leistungsbeurteilung ab. Die
„Polen“ und „Ostarbeiter“ in der Landwirtschaft erschienen nicht nur vereinzelt,
sondern insgesamt als unzuverlässig : „Die Arbeitsleistung dieser Arbeiter ist im
allgemeinen nicht besonders, ihr Benehmen oft gleichgültig, mitunter frech.“232
Darüber hinaus galt die Leistung der Gesamtheit der „fremdvölkischen Arbeiter“
als „keineswegs entsprechend“ ; sie legten wegen teilweiser Bevorzugung durch
„gewisse Bevölkerungskreise“ ein „anmassendes, arbeitsunwilliges Verhalten“ an
den Tag.233 Im folgenden April schien sich die Arbeitsleistung der Ausländer/-
innen wiederum gebessert zu haben ; sie wurde als „im allgemeinen entsprechend“
beurteilt. Ab Juli 1944 vermied der Landrat allgemeine Einschätzungen ; er er-
wähnte nur noch besondere Fälle von „Arbeitsvertragsbrüchen“, die vor allem
„Ostarbeiter“ und sowjetische Kriegsgefangene betrafen.234 Im langen Abstieg der
Leistungen der Sowjetbürger/-innen in den Urteilen des Landrats Wiener Neu-
stadt spielten wohl Deutungen der Beobachter und Handlungen der Beobachte-
ten zusammen. Einerseits erhöhten die Schreckensmeldungen von der Ostfront
die Sensibilität des Landrats und seiner Hilfsorgane bezüglich der Normverstöße
der „Fremdvölkischen“ aus dem Osten ; andererseits förderten dieselben Nach-
richten für ebendiese Personengruppe die Senkung der Hemmschwelle für eigen-
sinnige Verstöße gegen die Normen.
Neben diesen vielen punktuellen Urteilen über die Arbeitsleistungen der aus-
ländischen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft waren die NS-Behörden auch an
Einschätzungen größerer Reichweite interessiert. Eine Untersuchung der Arbeits-
produktivität ausländischer Arbeitskräfte im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Nie-
derdonau erstellte Hans F. Zeck 1943 im Auftrag der Südosteuropa-Gesellschaft.
Das Ziel, „ein vergleichbares Werturteil zwischen Arbeitskräften aus West-, Ost-
und Südost-Europa zu gewinnen“, musste wegen mangelnder Datenbasis aufgege-
ben werden ; dennoch deutet der Autor einige grundlegende Einschätzungen an :
„Die relativ geringen Vergleichsmöglichkeiten scheinen darauf hinzudeuten, dass
1. westeuropäische Fach- bezw. in ihrem Heimatland bereits angelernte Kräfte bevor-
zugt werden, wenn Arbeitsart und Werkzeug vielseitiges Geschick verlangen. Erst in
Deutschland umgeschulte bezw. angelernte Franzosen wurden wiederholt schlechter
beurteilt als in Deutschland angelernte Arbeiter aus Südosteuropa.
2. Ostarbeiter – besonders ukrainische Arbeiterinnen – werden bevorzugt, sofern die
Arbeit körperlich schwer oder anhaltend monoton ist. Ostarbeiter sind durchweg dis-
ziplinierter als Südostarbeiter.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937