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323Gerechter
Lohn oder Ausbeutung ?
den Bestimmungen für die polnischen Zivilarbeiter/-innen boten in der Folge die
Ausgangsbasis für die Diskriminierung weiterer Gruppen ausländischer Arbeits-
kräfte. Dabei zeichnen sich zwei Tendenzen ab : Erstens wurden nach und nach –
zuerst für die Kriegsgefangenen, später auch für die Zivilarbeiter/-innen
– Anreize
in Form von „Leistungszulagen“ geschaffen ; diese waren für viele Gruppen jedoch
auch mit Abzügen im Fall von mangelnder Arbeitsleistung verknüpft. Zweitens
wurden im Laufe der Zeit die Bruttolöhne der Ausländer/-innen vielfach an jene
der Inländer/-innen gekoppelt ; daraus wurden durch verschiedene Abzüge die
Nettolöhne berechnet, die somit erheblich unter dem Lohnniveau deutscher Ar-
beitskräfte lagen.
Diese nach Gruppen unterschiedlichen, immer wieder geänderten Bestimmun-
gen erschweren einen Vergleich der Entlohnung der In- und Ausländer/-innen
sowie zwischen den einzelnen Kategorien ausländischer Arbeitskräfte. Mit eini-
gen Einschränkungen scheint es dennoch möglich, die gesetzlichen Brutto- und
Netto-Monatslöhne in der Landwirtschaft vergleichend zu betrachten. Den Be-
zugspunkt des folgenden Berechnungsbeispiels bilden eine weibliche und eine
männliche Arbeitskraft über 20 Jahren, deren Monatslohn neben einem Geldbe-
trag auch freie Unterkunft und Verpflegung umfasst (Tabelle 4.9). Nach der Tarif-
ordnung für die Landwirtschaft im Gebiete der Landesbauernschaft Donauland vom
Juni 1940 bewegte sich der Brutto-Monatslohn für qualifizierte Arbeitskräfte wie
Großknechte und -mägde je nach Lohngebiet für Männer zwischen 56 und 42, für
Frauen zwischen 42 und 32 Reichsmark. Die Sätze für Normal-Arbeitskräfte wie
Hausknechte und -mägde betrugen für Männer zwischen 49 und 37, für Frauen
zwischen 33 und 25 Reichsmark. Dazu kamen noch Zuschläge für Mehrarbeit
und verschiedene Sozialleistungen.246 Die Reichstarifordnung für polnische land-
wirtschaftliche Arbeitskräfte vom Jänner 1940 verminderte die Brutto-Monatslöhne
für Männer auf 23,50 Reichsmark und für Frauen auf 15 Reichsmark ; Zuschläge
oder Sozialleistungen waren nicht vorgesehen.247 Die polnischen Landarbeiter/-
innen, die dieser diskriminierenden Sonderregelung unterlagen, waren jedoch von
der 15-prozentigen „Sozialausgleichsabgabe“ vom August 1940 ausgenommen.248
Nach der Reichstarifordnung vom Juni 1944 wurden die monatlichen Bruttolöhne
etwas angehoben, für Männer auf 24 Reichsmark und für Frauen auf 19 Reichs-
mark ; zusätzlich waren nun Leistungszulagen bis 11 Reichsmark bei Männern und
10 Reichsmark bei Frauen möglich.249
Im Unterschied zu den „Polen“ wurde den „Ostarbeitern“ im Rahmen des „Be-
schäftigungsverhältnisses eigener Art“ kein Lohn, sondern nur ein Entgelt zuge-
dacht. Für dessen Berechnung wurden der deutsche Bruttolohn – allerdings ohne
Zuschläge für Mehr-, Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit sowie Sozialleistun-
gen oder -zulagen – zugrunde gelegt. Auf der Basis dieses fiktiven Bruttolohns
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937