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330 „Menschenökonomie“ unter Zwang
matisierung der Minderentlohnung der „Ostarbeiter“ in den Gendarmerie- und
Landratsberichten und die daraus folgenden Reibungsverluste veranlassten die
Entscheidungsträger zum Handeln. So sprach sich Paul Hönigl, der Sachbear-
beiter für den Arbeitseinsatz beim Reichsstatthalter Niederdonau, im Oktober
1942 für eine „lohnmässige Besserstellung“ von gefügigen und arbeitseifrigen
„Ostarbeitern“ aus.264 Die Anhebung der Arbeitsentgelte der „Ostarbeiter“ im
April 1943 und deren Angleichung an die Lohnsätze der polnischen Arbeits-
kräfte im Juli 1944 suchten den Widerspruch zwischen Rassenideologie und
„Arbeitseinsatz“ einzudämmen.
Doch in vielen Fällen bedurfte es keiner gesetzlichen Regelung, um die Un-
stimmigkeiten über die Entlohnung zu entschärfen ; im Gegenteil, die Normen
hinkten vielfach der Praxis hinterher. Trotz Verbilligungen bei Futter- und Dün-
gemitteln und Preissteigerungen einiger Agrarprodukte sorgten die Erhöhungen
der landwirtschaftlichen Löhne nach dem „Anschluss“ dafür, dass sich die Schere
zwischen Ausgaben und Einnahmen der bäuerlichen Wirtschaften, besonders
der Bergbauernbetriebe, zusehends öffnete.265 Die Reichstarifordnung für polni-
sche Landarbeiter/-innen vom Jänner 1940 sollte auch dem rasanten Anstieg der
Dienstbotenlöhne einen Riegel vorschieben. Doch bereits im Mai 1940 stellte die
Arbeitseinsatzverwaltung „ungehörige Lohnüberbietungen, dies selbst bei polni-
schen Arbeitskräften“ fest.266 Über die Strategie der bäuerlichen Dienstgeber/-
innen, ihre polnischen Arbeitskräfte über dem Tariflohn zu bezahlen, informiert
auch ein Bericht des GP Ardagger vom August 1940 : „In der Sorge, die Arbeits-
leute zu erhalten, sind viele Bauern dazu übergegangen, außer den vertraglich fest-
gesetzten Löhnen den Polen in Form von Trinkgeldern Zuwendungen zu machen,
wodurch diese poln. Arbeitskräfte tatsächlich im Genusse der ortsüblichen Löhne
stehen.“267 Offenbar bot der in der ersten Jahreshälfte 1940 noch drückende Ar-
beitskräftemangel in der Land- und Forstwirtschaft den Forderungen der polni-
schen Arbeitskräfte nach besserer Entlohnung Rückhalt. Manche Arbeitsämter
trugen diesem Missverhältnis von Arbeitskräftenachfrage und -angebot Rechnung,
indem sie von der Reichstarifordnung abweichende Lohnsätze festlegten. So be-
richtet etwa der GP Ardagger im April 1940 von bäuerlichem Unmut über die
überhöhten Lohnsätze : „Die Landwirte, welche solche Polen beschäftigen, klagen
darüber, dass der vom Arbeitsamt festgesetzte Lohn, und zwar 30–40 Reichsmark
pro Monat, zu hoch ist.“268 30 bis 40 Reichsmark – das lag deutlich über den
höchstmöglichen Tariflöhnen von 23,50 Reichsmark für Polen und 15 Reichsmark
für Polinnen bei freier Kost und Verpflegung. Offenbar waren die Arbeitsämter
bestrebt, den Soll-Zustand an den Ist-Zustand anzunähern. Eine einheitliche Re-
gelung erfuhr diese Vorgangsweise im Jänner 1942, als den polnischen Arbeitskräf-
ten Leistungszulagen bei „besonders qualifizierter Arbeit“ und „überdurchschnitt-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937