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331Gerechter
Lohn oder Ausbeutung ?
lichen Leistungen“ zugestanden wurden. Diese betrugen im Höchstfall für Männer
3,52 Reichsmark und für Frauen 2,25 Reichsmark.269 Allerdings verstummten in
der zweiten Jahreshälfte die Klagen wegen überzogener Lohnforderungen polni-
scher Zivilarbeiter/-innen. Vermutlich engte die Entspannung des Arbeitskräfte-
mangels durch den Einsatz der westlichen Kriegsgefangenen die Spielräume für
Lohnverhandlungen erheblich ein.
Aufgrund der Stimmungs- und Lageberichte der Behörden entsteht der Ein-
druck, dass die tatsächlich ausbezahlten Löhne vielfach über den Tariflöhnen la-
gen. Folgt daraus umgekehrt, dass diese Lohnsätze nur selten unterschritten wur-
den ? Dieser Umkehrschluss wäre ein trügerischer Kurzschluss ; denn die Behörden
verfolgten die Überschreitung der gesetzlichen Tariflöhne wohl mit größerer
Aufmerksamkeit als deren Unterschreitung. Die Vorschriften für die Entlohnung
der ausländischen Zivilarbeiter/-innen und Kriegsgefangenen eröffneten für die
Dienstgeber/-innen beträchtliche Spielräume, um die Barlöhne bei überdurch-
schnittlicher Leistung anzuheben und bei Minderleistung abzusenken.
Neben den gesetzlichen Möglichkeiten brachten die bäuerlichen Dienstgeber/-
innen bisweilen auch ihre eigenen Machtmittel zum Einsatz. Helene Pawlik schil-
dert die wechselvolle Geschichte ihrer Entlohnung auf einem Bauernhof in Haf-
nerbach :
„Im 40er Jahr bin ich hergekommen, da ist vorgeschrieben gewesen vom Hitler 18
Mark. Und dann, als ich mehr gearbeitet habe, hab ich 19 gekriegt. Und das ist ge-
blieben bis zum 41er Jahr, bis der Sepp [Kind] geboren war, der Sepp ist ja geboren im
41er Jahr, im September. Da hab ich nur zehn Mark gekriegt [weinerlich], nicht mehr
[…] Ich habe keine Rente, diese zehn Mark, [der Bauer] hat ja keine Krankenkasse
gezahlt, einen billigen Arbeiter gehabt.“270
Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass der Bauer der jungen Mutter für die Versor-
gung des Kindes den Lohn auf zehn Reichsmark kürzte. Zudem kassierte die Bäue-
rin die zehn Reichsmark Alimente, die der polnische Kindesvater bezahlen musste.
Offenbar wurden hier ältere, bis in die Zwischenkriegszeit praktizierte Formen der
Pflegschaftsübernahme für Ziehkinder in einem neuen Zusammenhang adaptiert.
Die Versorgung der außerehelichen Kinder lediger Mägde wurde, wenn diese nicht
auswärts Aufnahme fanden, durch die Bauersleute gegen den Abzug von Kostgeld
übernommen.271 Im vorliegenden Fall verband sich dieses traditionelle Deutungs-
und Handlungsmuster vor dem Hintergrund des akuten Arbeitskräftemangels
offenbar mit dem Bestreben der Bauersleute, die von der Abschiebung bedrohte
ledige Polin am Hof zu behalten. Für Helene Pawlik hingegen bot angesichts der
Alternative, zurück in das Generalgouvernement gehen zu müssen, das Verbleiben
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937