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335Gerechter
Lohn oder Ausbeutung ?
Bleibt die schwierig zu beantwortende Frage : Wer profitierte von der norma-
tiven und praktischen Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte in der Land-
und Forstwirtschaft hinsichtlich des Barlohnes ? Die Lohn- und Lohnnebenkosten
von Arbeitskräften aus Osteuropa rangierten, wie der Vergleich der entsprechen-
den Lohnsätze gezeigt hat, erheblich unter jenen der übrigen Ausländer/-innen
und der Inländer/-innen. Das lag zum einen am Vorenthalt von Zuschlägen und
Sozialleistungen, die je nach Qualifikation bis zu einem Drittel des Tariflohnes aus-
machen konnten,281 zum anderen auch an den vergleichsweise niedrigen Lohnsät-
zen in der Land- und Forstwirtschaft. „Polen“, „Ostarbeiter“ und Kriegsgefangene
waren für Bauern- und Gutsbetriebe in der Regel zu günstigeren Bedingungen zu
haben als für Betriebe in Industrie und Gewerbe. Diese Vergünstigungen gingen
im Fall der „Polen“, der Kriegsgefangenen und der ungarischen Juden und Jüdin-
nen zu Lasten der ausländischen Arbeitskräfte ; für sie waren niedrigere Bruttoge-
hälter als in Industrie und Gewerbe vorgesehen. Im Fall der „Ostarbeiter“ hinge-
gen gingen diese Vergünstigungen zu Lasten des Staates ; die Besitzer/-innen von
Bauern- und Gutsbetrieben mussten nur einen vom Reichstreuhänder der Arbeit
festgelegten Teil der „Ostarbeiterabgabe“ abführen.282 Die Bereitstellung ausländi-
scher Landarbeiter/-innen zu besonders günstigen Bedingungen galt als ein Credo
nationalsozialistischer Agrarpolitik. So pries etwa Anton Reinthaller im Juli 1942
den „Vorteil der billigen Arbeitskraft in der Landwirtschaft durch den Einsatz von
Kriegsgefangenen“. Die Lohnsätze seien „eben so niedrig gehalten, damit auch die
kleinen bäuerlichen Betriebe Kriegsgefangene zur Verrichtung der landwirtschaft-
lichen Arbeiten einsetzen können“.283 Die nach Nationalitäten unterschiedlichen
Differenzen zwischen den Brutto- und Nettoentgelten der Kriegsgefangenen und
die „Ostarbeiterabgabe“ kamen hingegen nicht den Bauern- und Gutsbetrieben
zugute, sondern flossen in die Kassen der Militär- und Zivilverwaltung. Zudem
profitierte die Staatskasse auch von der Regelung des Lohntransfers in das Aus-
land. Neben den Betriebsbesitzer/-innen zählte daher auch der NS-Staat zu den
Profiteuren der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte in der Land- und Forst-
wirtschaft.
Am großbäuerlichen Betrieb des Leopold Marschall in Gän sern dorf lassen sich
die Relationen von Leistungen und Gegenleistungen genauer bestimmen. Der etwa
71 Hektar große, fast ausschließlich als Ackerland genutzte Grundbesitz lag im
nördlichen Marchfeld.284 Die Besitzerfamilie setzte sich 1940 aus dem 58-jährigen
Bauern, der 47-jährigen Bäuerin und der 20-jährigen Tochter zusammen ; im Aus-
gedinge lebte die 61-jährige Schwester des Bauern. Entsprechend des im Jahres-
rhythmus unterschiedlichen Arbeitskräftebedarfs der Betriebszweige Viehzucht und
Ackerbau beschäftigte der Betrieb fünf bis sechs ständige Dienstboten, etwa fünf
slowakische Saisonarbeiter/-innen und fallweise einige ortsansässige Taglöhner/-in-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937