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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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342 „Menschenökonomie“ unter Zwang Niederdonau beschäftigte sowjetische Zivilarbeiterin Marija Michailovna Lykova erinnert : „Wenn ich auch Geld bekommen hätte, ich hatte keine Marken, sie ha- ben selbst wenig Marken bekommen, also deswegen brauchte ich kein Geld, weil man für alles Marken brauchte.“318 Da sie den Geldlohn auf dem legalen Kon- sumgütermarkt nicht verausgaben konnte, bewertet sie aus heutiger Perspektive den damaligen Vorenthalt des Lohnes nicht als Unrecht. Versuche, sich auf ille- gale Weise mit Nahrung zu versorgen, wurden vor dem Gesetz als „Fälschungen von Lebensmittelkarten“319, „Kameradschafts-“, „Feld-“ und „Wilddiebstähle“,320 „Schleichhandel“ oder Betteln321 kriminalisiert. Konnte in der Dorfgemeinschaft der Diebstahl aus Not für inländische Landarbeiter/-innen noch als moralisch ge- rechtfertigt gelten,322 waren dieses Deliktes beschuldigte Ausländer/-innen den Sanktionen zumeist hilflos ausgeliefert. Solche massenhaft vorliegenden Delikte widerlegen die Vorstellung einer solidarischen „Selbstversorgergemeinschaft“. Die dörflich kontrollierte Reziprozität zwischen dem bäuerlichen Patron und dessen Klientel hatte sich durch die beginnende Klassenbildung der Landarbeiterschaft während der 1920er und 1930er Jahre bereits gelockert ;323 dies galt umso mehr für die per Gesetz aus den Solidargemeinschaften ausgeschlossenen Ausländer/-innen. Dennoch waren der Willkür Grenzen gesetzt : Das Bestreben der Dienstgeber/-in- nen, die Leistungsbereitschaft der ausländischen Bediensteten durch ausreichende Ernährung zu sichern, traf sich mit deren Bestreben, das eigene Überleben durch zufriedenstellende Leistungen zu sichern. Die Debatten um die Verpflegung der ausländischen Landarbeiter/-innen um- fassten neben der Nährstoffzufuhr die daran geknüpften Beziehungen zu Deut- schen. Für die Lagerangehörigen und die Beschäftigten von Groß- und Gutsbe- trieben bestand in der Regel die Trennung vom Tisch der Dienstgeber/-innen oder Vorgesetzten. In bäuerlichen Klein- und Mittelbetrieben schien jedoch  – schon allein aufgrund des knappen Wohnraumes  – das gemeinsame Mahl der Beschäf- tigten naheliegend.324 Mit dem Einsatz polnischer Arbeitskräfte ab 1939 wurde die Tischgemeinschaft kriminalisiert : Das gemeinsame Essen der „arischen“ Dienstgeber/-innen und „fremdvölkischen“ Bediensteten erschien als „verbotener Umgang“.325 Wort und Bild führten der Bevölkerung die verordnete Apartheid immer wieder sinnfällig vor Augen (Abbildung 4.16) : „Nur der deutsche Volksge- nosse gehört in unsere Tischgemeinschaft !“ Bis zum Kriegsende rissen die Klagen von Polizei- und Parteidienststellen über die verbotene Tischgemeinschaft von In- und Ausländer/-innen nicht ab. Neben der ideologischen Brille der Amtsträger kommt manchmal, wie etwa in einem Gendarmeriebericht aus dem Kreis Amstetten vom Juni 1942, auch die pragmati- sche Sicht der Landbevölkerung zur Sprache :
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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