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„Menschenökonomie“ vor Ort
Heidenreichstein, der für die Arbeiterbauernfamilien steht, verdoppelten sich hin-
gegen Arbeitskräftezahl und -dichte. 1944 wurde die Betriebsbesitzerin durch eine
weitere Familienarbeitskraft unterstützt ; ab nun war auch ein Kind im Haushalt
zu versorgen, wodurch der V/A-Quotient anstieg. Positive Bilanzen des absoluten
oder relativen Arbeitskraftpotenzials zogen auch die Beispielbetriebe der Ackerbäu-
erinnen, Mischwirtschafter, Kleinbauernfamilien und Zuckerrübenbauern. Negativ fiel
hingegen der Saldo für die Beispielbetriebe der Gewerbebauern, Maschinenmänner
und Ochsenbauern aus. Im Ochsenbauernbetrieb von Leopold Hofer in Plankenstein
verringerten sich durch den Wegfall einer Familienarbeitskraft 1942 – vermutlich
wegen Einrückung zum Militär – das absolute und relative Arbeitspotenzial um
knapp ein Drittel ; damit stieg auch das Zahlenverhältnis von Verbrauchern und
Arbeitskräften innerhalb der Besitzerfamilie.
Die Streuung der Veränderungen des Arbeitskraftpotenzials, die sich bereits an
den zehn Beispielbetrieben abzeichnet, wird in vollem Ausmaß an der Gesamtheit
der Höfe fassbar. Von den 1.551 Betrieben müssen neun wegen fehlender Angaben
für 1941 ausgeschieden werden ; dabei handelt es sich durchwegs um Betriebe, de-
ren Besitzer/-innen als Ausnehmer/-innen oder nicht Ortsansässige vor Ort keine
eigene Hofstelle besaßen oder zum Militär eingerückt waren. Die verbleibenden
1.542 Betriebe folgten, je nach Agrarsystem, unterschiedlichen Entwicklungen
(Tabelle 4.13) : Einzig die Maschinenmänner zeigten 1941 bis 1944 wenig Verän-
derung bei vergleichsweise geringer Streuung. Deutliche Zunahmen an Arbeits-
kraftpotenzial bei mittlerer Streuung wurden für die Zuckerrübenbauern, die Misch-
wirtschafter und die Ackerbäuerinnen registriert ; moderate Steigerungen lassen sich
auch für Gewerbe- und Ochsenbauern feststellen. Hingegen verzeichneten Arbeiter-,
Wein- und Nebenerwerbsbauernfamilien beträchtliche Rückgänge an Arbeitskräften
bei mittlerer bis starker Streuung ; während sich bei der ersten Gruppe die Verluste
in Grenzen hielten, sank bei den letzten beiden Gruppen der Arbeitskräftebesatz
bisweilen um mehr als ein Zehntel gegenüber dem Stand von 1941. Es waren vor
allem die flächenarmen Familienwirtschaften, die über die Jahre am stärksten Ar-
beitskräfte verloren. Der Arbeitskräftebesatz der übrigen Gruppen gleichartiger
Höfe stieg an oder blieb zumindest stabil.
Was der Indexvergleich zeigt, ist das Auf und Ab des Arbeitskraftpotenzials ; was
er verbirgt, sind die zugrunde liegenden Ab- und Zuflüsse an AKE. Um diese Ströme
menschlicher Arbeitsenergie sichtbar zu machen, betrachten wir die prozentuellen
Ab- und Zugänge an AKE 1942 bis 1944 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr nach
Agrarsystemen und Regionen (Tabelle 4.14). Bereits ein flüchtiger Blick lässt ein
durchgängiges Merkmal der „Menschenökonomie“ vor Ort erkennen : Hinter den
jährlichen Gesamtsalden des Arbeitskräftepotenzials verbargen sich beträchtliche,
vielfach über einem Zehntel liegende Ab- und Zuflüsse an Arbeitskraft. Die Frei-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937