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383„Bauerntum“
und Technik – (k)ein Widerspruch ?
Investitionsreserven – der Betriebe als Folge der Verschiebungen zwischen Faktor-
und Produktpreisen in den 1930er Jahren. Als strukturelles Hindernis erschien die
Masse berg- und kleinbäuerlicher Wirtschaften, deren ökologische und ökonomische
Eigenarten – Steillage und Ertragsschwäche – den Mechanisierungsmöglichkeiten
enge Grenzen setzten.32 Zeitungsartikel mit Titeln wie Neuzeitliche Landtechnik auf
dem Bergbauernhof33 oder Die Technik hilft nicht nur dem Großbesitz !34 signalisier-
ten der Leserschaft, dass sich die Fachleute über die Lösung dieser Strukturprob-
leme den Kopf zerbrachen. Fritz Fahringer, Betreuer von Beispielswirtschaften des
Reichskuratoriums für Technik in der Landwirtschaft in Oberdonau, schnürte ein
ganzes Paket zur Technisierung der Bergbauernwirtschaft : Vom Güterwege- und
Stromnetz über mit motorisierten Seilaufzügen kombinierte Ackergeräte, Güllefäs-
ser zur kraftsparenden Ausbringung des Wirtschaftsdüngers und Motorkarren für
die Überwindung von Steigungen bis hin zu elektrischen, leicht zu versetzenden
Elektrozäunen – jede dieser Maßnahmen sollte zur „Lösung des die Gebirgsbau-
ernwirtschaften beherrschenden Transportproblems“, des im Gebirge verschärften
Problems der Überwindung der Schwerkraft, beitragen.35 Albrecht Köstlin vom
Reichskuratorium für Technik in der Landwirtschaft unterschied betriebs- und ar-
beitswirtschaftliche Kriterien der Mechanisierung von bäuerlichen Kleinbetrieben.
In betriebswirtschaftlicher Hinsicht sei zu beachten, „daß, je kleiner der Hof ist, jede
Maschinenanschaffung den Hektar stärker belastet als dieselbe Maschine auf einem
größeren Hof“ ; daher sei in vielen Fällen die kollektive Anschaffung der individuel-
len vorzuziehen. In arbeitswirtschaftlicher Hinsicht hätten Maschinen, die saisonale
Arbeitsspitzen brechen, tägliche Arbeiten verkürzen und die Arbeitsgüte verbessern,
den Vorrang.36 Beide Experten sprachen sich gegen die Technik als Selbstzweck aus ;
sie diene, so Fahringer, vielmehr als Mittel zu einem höheren Zweck :
„Die Landtechnik hat aber auch hier [bei der Intensivierung der Bergbauernwirt-
schaft] nicht die Aufgabe, Menschen auf dem Bergbauernhof zu ersparen, vielmehr ist
gerade das Gegenteil die Aufgabe, Menschen auf den lichten Höhen unserer Berge zu
binden und solcherart mitzuhelfen, jene rassisch und biologisch so wertvolle Schicht
deutschen Bauerntums als Blutsquell der Nation zu erhalten.“37
Um solchen höheren, über das betriebswirtschaftliche Kalkül hinausreichenden
Zwecken zu genügen, sei, so Köstlin, das Mechanische in den Hoforganismus ein-
zubinden :
„Jedenfalls muß er [der Bauer] es verstehen lernen, die Technik ebenso organisch in
seinen Hof einzufügen, wie er selbst in ihn hineingeboren und mit seinem Vieh und
seinem Grund und Boden zusammengewachsen ist.“38
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937